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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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die streunenden Hunde, auf die du achten mußt.
    Aber du läufst ja nicht wegen der Hunde. Die Hunde lassen dich langsamer werden und in Schrittempo fallen. Die herumlungernden Männer lassen dich laufen, die Männer außer Sicht in Hauseingängen oder Schrottautos – sie sollen doch denken, daß du läufst, weil du gerne läufst, genau wie all die anderen, der abendliche Strom der Studentinnen, die diesen Sprint über vier Blocks machen.
    Wir sind bloß Läuferinnen, sollen sie denken, und reißen hier unsere Minuten runter.
    Janet stürmte inzwischen voran, heftig keuchend, konzentrierte sich auf den Schnee und darauf, daß die Ampeln Grün blieben, und sie hatte ein Auge auf die Männer, die sich an eine Mauer lehnten oder aus einem Wagen stiegen – im Verlauf eines Sprints kam sie meistens an mehreren Schrottautos vorbei, die im Winter als gesellschaftlicher Treffpunkt dienten.
    Vier lange Blocks unter einem streifigen Nordhimmel. Wenn sie den Eingang zu ihrem Haus erreichte, hatte sie die Schlüssel schon in der Hand, und sie ging hinein und nahm den Aufzug nach oben, lief gewissermaßen weiter, jetzt die Wohnungsschlüssel, und fünfzehn Sekunden, nachdem sie im Wohnzimmer war, hinter doppelt verrammelter Tür, klingelte das Telefon. Erst dann hörte ihr Herz auf zu rasen.
    Der Anruf war reine Routine, eine andere Schwesternschülerin im Krankenhaus, die nur sichergehen wollte, daß Janet es heil geschafft hatte. Sie gaben ihr elf Minuten von Tür zu Tür, inklusive Aufzug und Schlüssel im Schloß. Einige Schwesternschülerinnen wohnten im selben Häuserkomplex, und diese Angewohnheit sollte es allen ermöglichen, reihum die Rollen zu tauschen. Janet machte den Lauf, nahm den Anruf entgegen und überprüfte ihren Fortschritt als Läuferin, streng nach Plan.
    Sie rechneten alles aus und hängten es an ein schwarzes Brett. Dann zogen sie ihre Laufschuhe an und warteten auf Grün.
    29. NOVEMBER 1966
    Die Entscheidung, verspätet zu erscheinen, traf der zweite Mann. Feste Entschlossenheit unter schwierigen Umständen zeigte Clyde Tolson gern.
    Das bewies Format. Und wenn man abwechselnd als pflichtbewußt, respektvoll, willfährig, sklavisch und arschkriecherisch korrupt beschrieben wird, je nach dem – abnehmenden – Grad der Wertschätzung, dann muß man auch ab und zu seinen Charakter unter Beweis stellen.
    Doch zunächst mußte Clyde den Chef davon überzeugen, daß die Abenddämmerung seines Direktorats nicht davon überschattet sein würde, wenn er ein oder zwei Stunden Partyzeit versäumte.
    Ein Sicherheitskommando des FBI am Plaza hatte berichtet, daß der Protest allmählich laut wurde und die Partygäste bei ihrer Ankunft mit Reimcouplets beschimpft, mit obszönen Zeichen und Gesten bedacht, aus nächster Nähe bespuckt und dazu gezwungen wurden, sich vor dem einen oder anderen Flugobjekt zu ducken.
    Clyde fand es völlig abwegig, den Direktor in eine Situation geraten zu lassen, und letzten Endes stimmte ihm Edgar darin zu, die der Würde des FBI hätte abträglich sein können.
    Es war also Mitternacht, als die beiden Männer in ihrem gepanzerten schwarzen Cadillac durch die leeren Straßen von Midtown rollten. Sie hatten gemütlich zu Abend gegessen, mit dem Weinkellner geschäkert und sich noch mit alten Bekannten einen Brandy an der Bar genehmigt, denn überall, wo J. Edgar Hoover hinkam, gab es auch alte Bekannte, einige waren loyale Anhänger, andere residierten in den Akten, ein paar waren Feinde fürs Leben, wußten es aber noch nicht, und Edgar und Clyde waren trotz der Vor-Ort-Berichte in ziemlich heiterer Stimmung, wie sie auf den schwellenden Rücksitzen thronten, natürlich in schwarzer Krawatte und schwarzen Masken, ein höflich-fescher Verbrechensbekämpfer aus einem Sonntagscomic, ein Meisterbürokrat am Tage, der des Nachts zum sausenden Maskman wurde und mit seiner rechten Hand, dem Mann seines Vertrauens, im Abendanzug durch die Straßen zog.
    Der Fahrer betätigte die Sprechanlage, um zu melden, daß sie von einem Wagen verfolgt wurden.
    Clyde drehte sich danach um, während der Direktor auf seinem Sitz zusammensackte und seinen Kopf unter die Fensterlinie brachte.
    »Kleiner VW-Käfer«, sagte Clyde. »Von oben bis unten in knallbunten Farben gestrichen. Psychedelisch. Große helle Wirbel und Streifen. Kann das Gesicht des Fahrers nicht erkennen.«
    Der Cadillac fuhr langsam am Plaza vorbei. Die Scheinwerfer waren weg, die Medienmeute war weg, keine Spur von neugierigen Gaffern,

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