Unterwelt
Rache. Er ordnete das Leben seiner Feinde um, ihre Gespräche, ihre Beziehungen, sogar ihre Erinnerungen, und er machte diese Leute verantwortlich für die Einzelheiten des von ihm Geschaffenen.
»Wir werden sie verhaften und bestrafen«, sagte Clyde. »Sonst können wir nichts tun.«
Am Fenster drehte sich Edgar lächelnd um. »Vielleicht kann ich in diesem Punkt mit der Mafia sympathisieren.«
Clyde grinste.
»Du warst schon immer ein halber Gangster«, sagte er. Sie lachten.
»Weißt du noch, wie wir mit den MPs unterwegs waren?« fragte Edgar.
»Und es waren Fotografen dabei.« Sie lachten wieder.
»Du warst direkt neben mir, in heroischer Pose.«
»Edgar und Clyde«, sagte Clyde. »Clyde und Edgar«, sagte Edgar.
Dort, wo der Strom des eigenen Kontrollbedürfnisses auf die Flutwelle der eigenen Paranoia traf, war die Akte befriedigend für beide. Man gab beiden Fliegen mit einer Klappe Zucker.
»Ich mochte die dreißiger Jahre«, sagte Edgar. »Die Sechziger mag ich nicht. Überhaupt nicht.«
Der Schreibtisch am Ende des Zimmers stammte in gewisser Weise aus den dreißiger Jahren, ausgestattet mit Gegenständen, die nach Edgars genauer Anweisung zusammengestellt waren. Zwei schwarze Füller mit spitzer Feder. Zwei Flaschen Skrip Permanent Royal Blue Ink, Nr. 52. Sechs gespitzte Bleistifte, Faber Nr. 2. Ein paar Schreibblöcke, 12x20, weiß, Leinenbriefpapier. Eine neue 60-Watt-Birne in der Stehlampe. Der Direktor wollte nicht den Staub alter Glühbirnen einatmen, die zuvor den Lesestoff vollkommen fremder Menschen beleuchtet hatten. Zeitungen, Reiseführer, Gideon-Bibeln, erotische Literatur, subversive Literatur, Underground-Literatur, Literatur – was immer die Leute in Hotels lasen, allein, blätternd und atmend.
Clyde sah auf seine Uhr. Zuerst Abendessen zu zweit, allein, eine Gewohnheit seit Jahrzehnten – dann die kurze Fahrt ins Plaza.
Es hieß der Black & White Ball. Eine göttliche Versammlung von fünfhundert Menschen, in Maske, nur geladene Gäste, Smoking und schwarze Maske für die Herren, Abendkleid und weiße Maske für die Damen.
Die Party wurde von einem Schriftsteller gegeben, Truman Capote, und zwar für eine Verlegerin, Katharine Graham, und was an faktenähnlichen Daten von den Gästen hervorgebracht würde, konnte bestimmt die immer schmaler werdende Kluft zwischen Journalismus und Fiktion überbrücken.
Edgar war ursprünglich nicht eingeladen worden. Aber es war nicht schwierig, eine Einladung zu arrangieren. Ein Wort von Edgar an Clyde. Ein Wort von Clyde an jemanden in Capotes Umgebung. Natürlich standen sie in den Akten, eine ganze Reihe von ihnen, die mit der Planung des Ereignisses beschäftigt waren – alle katalogisiert und bis zu den Ohren dossierisiert, und keiner war scharf darauf, den Direktor zu verstimmen.
Clyde nahm einen Anruf vom Schreibtisch aus an. Die Frau mit den Masken war zur Anprobe auf dem Weg nach oben.
Edgar bemerkte, daß Clyde einen Schlips mit Tröpfchenmuster trug. Das Muster erinnerte ihn an Pantoffeltierchen, finstere Organismen mit Schlund und Zellmund. Zu Hause saß Edgar auf einer Toilette, die erhöht auf einer Plattform stand, um ihn von bodenheimischen Formen des Lebens zu isolieren. Und er hatte seine Laborleute angewiesen, einen sauberen Raum in der FBI-Zentrale zu bauen, der nie dagewesenen Hygienestandards genügte. Ein weißer Raum, bemannt mit weißgekleideten Technikern, am besten selbst weiß, eine Arbeitsumgebung, die vollkommen unverseucht war, frei von Staub, Bakterien und so weiter, mit herabstrahlenden großen weißen Scheinwerfern, und Edgar selbst verbrachte dort gern etwas Zeit, wenn er sich verwundbar fühlte, den ihn umgebenden Kräften ausgesetzt.
Sie kam zur Tür herein, Tanya Berenger, in einem Maxikleid und Stiefeln aus dem Billigladen, früher eine bekannte Kostümbildnerin, heute alt und verschlampt, in einem traurigen Hotel hinterm Times Square hausend, von der Sorte, wo der Rezeptionist hinter einem Gitter hockt und ein Zungensandwich ißt. Drei- oder viermal im Jahr trieben die Leute sie auf, damit sie für besondere Anlässe Masken herstellte, und sie hatte ziemlich regelmäßige Einkünfte durch einen Privatclub im Village, den sie mit sadomasochistischen Accessoires belieferte.
Die beiden Männer, wie immer, wenn eine Frau im selben Zimmer war, die sie nicht kannten, und ohne daß andere dabei waren, ohne eine Atmosphäre gesellschaftlicher Aufgekratztheit – na ja, sie wurden dann ziemlich steif
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