Unterwelt
am Fenster seiner imposanten Suite im Waldorf. Er beobachtete, wie die gelben Taxis in der seelenvollen Dämmerung versanken, diesem besonderen, verschwenderischen Licht, das ersterbend auf die Park Avenue fällt, bevor die Menschen in den Büros Feierabend machen und wieder zu Gattinnen und Gatten werden, oder zu was auch immer Menschen sonst werden, mit welchen Murmelworten auch immer, wenn flüchtiges Geflüster die Abende erfüllt.
Der zweite Mann saß mit übergeschlagenen Beinen auf dem Sofa und sah die FBI-Berichte durch.
Edgar sagte: »Du hast die Masken natürlich eingepackt.« Der zweite Mann nickte, eine Geste, die ungesehen blieb. »Junior, die Masken.«
»Wir haben sie, ja. Ich schau mir gerade eine Notiz vom Sicherheitsdienst an, die ein bißchen, tja, bedenklich aussieht.«
»Will nichts davon hören. Leg sie irgendwo ab. Geht mir viel zu gut.«
»Protest. Vorm Plaza, heute abend.«
»Wogegen protestieren die Drecksäcke? Bitte um Aufklärung«, sagte Edgar in einem Tonfall, den er über die Jahre perfektioniert hatte, eine in elf verschiedene Arten von Ironie gegossene, angespannte Amüsiertheit.
»Gegen den Krieg, scheint's.«
»Den Krieg.«
»Ja, das«, sagte der zweite Mann.
Sie waren im Waldorf abgestiegen J. Edgar Hoovers Lieblingshotel, wenn er in New York weilte, aber die Party, der Ball, die Fête, das gesellschaftliche Ereignis der Saison, des Jahrzehnts, vermutlich des halben Jahrhunderts – der Ball fand im Ballsaal des Plaza statt.
Edgar wechselte das Thema, wenn auch nur in Gedanken. Er blickte die Park Avenue hinauf, wo sich die Erde Richtung Harlem krümmte. Möglicherweise ließ ihn das diffuse, intensive Licht nostalgisch werden, oder der Lärm vielleicht, das gedämpfte Getöse der Taxihupen von unten, ein Geräusch, das aus dieser geschützten Entfernung seltsam und menschlich glücklich wirkte, ein schwaches Tuten und Piepen, in dem etwas Feierliches mitzuschwingen schien.
Er sagte: »Wo warst du, als Thomson den Home Run schlug?«
»Wie bitte?«
»Wo warst du?«
»Ja?«
»Schon gut. Unwichtiger Gedanke, Junior.«
Clyde Toison, bekannt als Junior, war Edgars standhaftester Adjutant beim FBI, sein teuerster Freund und unzertrennlicher Gefährte.
Natürlich kamen sie in die Jahre. Clyde war fünf Jahre jünger als Edgar, aber nicht mehr so gewieft wie früher, seine Gedächtniskartei spuckte die Informationen inzwischen nicht mehr ganz so blitzartig aus. Aber während Edgar stupsnasig und kompakt war, mit Augenbrauen wie Fledermausflügeln, wirkte Clyde mit seiner langen Kinnpartie und hochgewachsenen Statur eher sanftmütig, ein fast liebenswürdiger Bursche, der das Gespräch schätzte – wiederum ganz anders als sein Chef, der glaubte, daß man sich jedesmal verriet, Wort für Wort, sobald man den Schnabel aufmachte.
Edgar hatte ein Glas Scotch in der Hand. Er musterte es prüfend, ob es etwa verschmiert war, dann schnüffelte und nippte er daran, das rauchige Aroma kitzelte seine Zunge. Die Ehrensuite, der beruhigende Drink, Juniors Anwesenheit im Zimmer, die Party, von der alle seit Monaten redeten, berühmt, lange bevor sie stattfand, die unerwünschten Entgleisungen in Zustände von akuter Verwirrung, Schlaflosigkeit, Funktionsuntüchtigkeit – ja, Edgar ging es ziemlich gut heute abend.
Gesprächig oder nicht, eine gute Party wußte er zu schätzen. Vor allem begeisterten ihn Berühmtheiten, und heute abend im Plaza war eine Glamourschwemme zu erwarten. Persönlichkeit und Flair und stilvoller Witz. Im untersetzten Leib des Direktors kauerte immer noch ein schmächtiger Schuljunge, und dieses einsame Krypto-Kind erwachte zu robustem Leben, wenn Showgrößen und andere lebende Ikonen zugegen waren – Kinderstars, Baseballspieler, Preisboxer, sogar Pferde und Hunde aus Hollywood.
Berühmte Menschen waren Meistergeister, Männer und Frauen, die der Aura ihrer Ära Würze verliehen. Ganz gleich, wieviel Anspruch Edgar selbst auf Rang und Namen erhob – beim Schwätzchen mit einem echten Star unterlief ihm schon mal die eine oder andere Schließmuskelschwäche.
Clyde sagte: »Und das hier natürlich auch noch.«
Edgar wandte sich dem zweiten Mann nicht zu, um zu sehen, was er da las. Statt dessen musterte er den Teppich. Die Teppiche im Waldorf waren dick und üppig, ideale Brutstätten für Bakterien aller Art. Wer auch nur das geringste von moderner Kriegführung verstand, wußte, daß Waffen mit pathogenen Bakterien genauso destruktiv sein konnten
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