Unterwelt
wie Megatonnen-Bomben. In gewisser Weise schlimmer, denn schon das Gefühl von Infiltration war eine Art Tod.
Clyde sagte: »Ich wußte, daß es ein Fehler war, unsere Methoden im Umgang mit den Größen des organisierten Verbrechens bekanntzumachen.«
»Welche Methoden?«
»Ihren Müll zu durchsuchen.«
»Lockt Nachahmer an.«
»Und schafft eine Nachahmer-Mentalität. Jetzt haben wir eine Situation, die in PR-Hinsicht ein Alptraum ist. Will sagen, eine sogenannte Müllguerilla hat es auf, rat mal, wessen Müll abgesehen, Chef?«
»Also bitte. Ich genieße gerade meinen Drink. Ein Mann genießt seinen Drink, wenn der Tag sich neigt.«
»Deinen«, sagte Clyde.
Edgar konnte kaum glauben, daß er den Burschen richtig verstanden hatte.
»Sagt jedenfalls unsere vertrauliche Quelle.« Clyde raschelte mit dem Blatt, das er gerade las, um einen maximalen Aufrütteleffekt zu erzielen. »Eine Gruppe Stadtguerillas plant eine Müllrazzia, Adresse – 4936 Thirtieth Place, Northwest, Washington, D. C.«
Der Weltuntergang in dreifacher Ausfertigung.
»Wann soll das laufen?«
»Jederzeit, mehr oder weniger.«
»Hast du Wachposten aufgestellt?«
»In Zivilwagen. Aber ganz gleich, ob wir sie verhaften oder nicht, sie werden einen Weg finden, deinen Müll öffentlich zu inszenieren.«
»Stell ich den Müll halt nicht mehr raus.«
»Irgendwann mußt du das aber.«
»Ich stell ihn raus und schließ ihn ein.«
»Wie sollen die Müllmänner ihn dann abholen?«
Wenn FBI-Agenten sich nachts mit dem Hausmüll irgendeines Mafioso davonstahlen, ersetzten sie ihn durch falschen Müll, damit es nicht auffiel – riechende Essensreste, Sardellenbüchsen, gebrauchte Tampons, die in der Laborabteilung präpariert worden waren. Dorthin brachten sie auch den echten Müll, damit er von forensischen Experten nach Wettformularen, Handschriftlichem, Papierfetzen, zerknüllten Fotos, Essensflecken, Blutflecken und jeder bekannten Unterkategorie von gekritzeltem Sizilianisch durchsucht wurde.
»Oder ich tue folgendes«, sagte Edgar. »Ich stelle simulierten Müll raus. Unauffälliges Kleinzeug. Keine Nachricht wert.«
»Wir können aber bei diesen Leuten keine konventionelle Methode anwenden, auch wenn sie noch so ausgeklügelt ist. Denn was die machen, läuft jeder gewöhnlichen Konfrontation entgegen. Ganz gleich, wie gut das Gelände bewacht wird, früher oder später werden sie sich eine Mülltonne schnappen und damit abhauen.«
Edgar trat an ein anderes Fenster. Er brauchte, wie es so schön heißt, Tapetenwechsel.
»Die vertrauliche Quelle sagt weiter, daß sie vorhaben, eine Tournee mit deinem Müll zu veranstalten. In den größeren Städten Säle zu mieten. Linke Soziologen zu holen, die den Müll Stück für Stück analysieren. Hippies zu holen, die sich das Zeug auf den nackten Körper schmieren. Praktisch damit vögeln. Dichter zu holen, die Gedichte darüber schreiben. Und zu guter Letzt, in der letzten Stadt der Tournee, haben sie vor, ihn zu essen.«
Edgar konnte einen Teil von der Ostfassade des Plaza erkennen, etwa zwölf Straßen weit weg.
»Und wieder auszuspucken«, sagte Clyde. »Öffentlich.«
Das große Schieferdach, die Giebel und Dachfenster und die Kupferbekrönung. Wie seltsam, daß so etwas Selbstverständliches wie den Müll rauszustellen plötzlich zum Anlaß für die schlimmsten Sorgen werden konnte.
»Die vertrauliche Quelle sagt, sie wollen einen Dokumentarfilm über die Tournee drehen und in allen Kinos zeigen.«
»Haben wir eine Akte über diese Guerillatruppe?«
»Ja.«
»Ist sie gewichtig?« fragte Edgar.
Im Zusammenhang mit den sich endlos mischenden Sedimenten von Paranoia und Kontrolle war die Akte ein wesentliches Mittel. Edgar hatte viele lebenslange Feinde, und die einzige Art, mit diesen Leuten umzugehen, bestand darin, gewichtige Akten über sie zusammenzutragen. Fotos, Überwachungsberichte, detaillierte Behauptungen, miteinander in Verbindung stehende Namen, transkribierte Tonbänder – Abhöranlagen, Wanzen, Einbrüche. Die Akte war eine tiefere Form der Wahrheit, die weiter ging als Fakten und Aktualitäten. Sobald man dem Dossier etwas hinzufügte, ein verwackeltes Foto, ein unbestätigtes Gerücht, wurde es unterschiedslos wahr. Es wurde zu einer Wahrheit ohne Autorität und deshalb unbestreitbar. Faktoiden sickerten aus der Akte und krochen über den Horizont und verschlangen dabei Körper und Geist. Die Akte war alles, das Leben nichts. Das war die Essenz von Edgars
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