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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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wo du immer hinkommen kannst, sagte der Dichter, oder sagte Marians Vater in seiner Version des Dichters, und zu Hause ist auch der Ort, von dem du nicht schnell genug wieder wegkommen kannst.
    Sie hatte einen Job in Chicago, den sie haßte. Eigentlich haßte sie ihn gar nicht – sie hatte sich nur ein paar Gesten der Unzufriedenheit zugelegt, weil man das anscheinend so machte. Sie war fünfundzwanzig und sah keine Zukunft darin, im Hinterzimmer eines Maklerbüros zu arbeiten. In gewisser Weise war der Job aber in Ordnung, denn er zwang sie dazu, diszipliniert und engagiert und unschlampig zu sein, außerdem gab es nichts anderes, was sie gerade jetzt hätte ausprobieren wollen.
    Aus dem Radio kam DowDay DowDay DowDay DowDay.
    Sie durchwühlte die Frisierkommode und stieß auf ein paar alte Pullover, die ihr immer noch ganz passabel erschienen, und eine Reihe greller Pudelmützen, die witzig und blöd waren.
    Die Frisierkommode war das einzige Möbel im Zimmer, das einen zweiten Blick verdiente, von persönlichen Assoziationen mal abgesehen – aus Eiche, mit hohem, zerkratztem Spiegel und zwei aufklappbaren Seitenteilen, ein anmutiges Dreierschema.
    Aus dem Radio kam SchweineSchweineSchweineSchweineSchweineSchweineSchweine.
    Allmählich begriff sie, daß ein Teil des Straßenlärms, der Musik und der Stimmen aus den Lautsprechern, die Studenten in ihre Fenster gestellt hatten, von dem Radiosender übertragen wurde, den sie eingestellt hatte.
    Sie packte und hörte zu.
    Aus dem Radio kam, Universitätserlaß 122 gestattet Gewaltanwendung gegen Studenten. Universitätserlaß 122 gestattet Gewaltanwendung gegen Studenten.
    Allmählich begriff sie, daß es sich dabei um die landesweite Vietnam-Woche an den Universitäten handelte. Und hier in Madison war heute DowDay, eine Protestaktion gegen die Firma Dow Chemical, die Werber auf den Campus schickte und zu deren Produkten auch eine neue, verbesserte Art von Napalm gehörte, mit einer Polystyrol-Beimischung, durch die gelierte Substanzen fester an der menschlichen Haut klebten.
    Universitätserlaß 122 gestattet Gewaltanwendung gegen Studenten.
    Sie dachte, kein Wunder. Denn es klang, als würden die Studenten den Campus auseinandernehmen, und es sah aus, als ob, früher am Tag, als auf der Linden Street die Vietcong-Flaggen wehten und weißgeschminkte Pantomimen sich auf Bascom Hill ein Handgemenge mit der Polizei lieferten – es sah aus, als ob was?
    Der Sender berichtete über den DowDay und machte offenbar mit.
    Aus dem Radio kam SchweineSchweineSchweineSchweine SchweineSchweineSchweine.
    Es sah aus, als wäre über Nacht etwas geschehen, das die Regeln des Denkbaren verändert hatte.
    Allmählich begriff sie, daß der Aufstand da draußen, falls es einer war, durch einen simulierten Aufstand im Radio angeheizt und aufgeputscht wurde, eine Audiomontage aus Schüssen, Schreien, Sirenen, Hupen und gelegentlichen Meldungen, vielleicht echt, vielleicht auch nicht.
    Sie fand den alten Mantel, von dem sie geglaubt hatte, sie hätte ihn verloren – wie willst du denn einen Mantel verlieren, hatten alle gesagt –, damals vor fünf Jahren am See.
    Aus dem Radio kam, Nehmt euren Gürtel und wickelt ihn euch um die Faust.
    Als ihre Mutter gestern abend Schweinelende servierte, murmelte ihr Vater: »Vom Schwein«, und eigentlich war das nicht komisch gemeint, aber als Marian lachte, stimmte er ein, etwas bitter.
    Aus dem Radio kam, In Kürze neue ANHÖ-Meldungen.
    Sie hatte am Abend einen Kurs, würde aber nicht hingehen, einen Kurs über Aktien, Wertpapiere, Vorzugsaktien und andere Mittel des materiellen Reichtums, die zur Schaffung weiteren Reichtums zur Verfügung standen, würde aber nicht hingehen, ganz einfach weil, aber später schon, und zwar bald, denn sie wußte, was sie wußte, nämlich daß sie Kräfte von außen brauchte, um ihren eigenen Tendenzen etwas entgegenzusetzen.
    Sie wollte Nick anrufen, wußte aber, er würde nicht da sein.
    Das Radio brachte Schüsse vom Band, Autounfälle, kernige Dialoge aus alten Kriegsfilmen.
    Ihre Mutter nannte sie träge und gleichgültig. Sie leide an Unehrgeiz.
    Universitätserlaß 122 gestattet Gewaltanwendung gegen Studenten. Universitätserlaß 122 gestattet Gewaltanwendung gegen Studenten.
    Sie hörte sich das an, weil es hier passierte, aber zwischendurch schaltete sie auch ab, ließ ihre Aufmerksamkeit wandern, eine Art der Selbstverteidigung. Das Ganze hatte etwas Müdes an sich. So eine erschöpfende

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