Unterwelt
trifft, stapelt das Büro für Zivile Verteidigung Gummikotze in den Atombunkern überall im Land. Die sind jetzt richtig hektisch, Mann. Bauen Bunker und bestücken sie. Mit Hygienekasten, mit Erste-Hilfe-Kasten. Luminal, um dich ruhigzustellen. Penicillin, was weiß ich, für Bombenausschlag. Wenn euch von der radioaktiven Strahlung zu übel zum Kotzen ist, verteilen sie Gummikotze, zur Aufmunterung. Nach der Massenzerstörung durch einen nuklearen Schlagabtausch« – er schaute auf seine Armbanduhr – »wollen die doch wieder aufbauen. Und dann ist der Kalte-Kriegs-Schrott Gold wert, alles niedliche Souvenirs. Diese gelb-schwarzen Schilder, die ihr schon überall gesehen, aber noch nie richtig bemerkt habt, bis vor sechs Tagen – Atombunker. Sammlerobjekte. Das ganze Zeug, das in den Lagerräumen und Waschräumen gestapelt liegt, die als Bunker vorgesehen sind. Fässer voll Trinkwasser. Salzcracker. Lippensalbe, gegen den Blitz. Papptoiletten, auch als Salatschüsseln einsetzbar. Ab und zu jedenfalls«, sagte er.
Ein Kellner ließ ein Tablett mit Drinks fallen.
»Gestern hat die Navy ein Schiff an der Quarantänelinie geentert. Das allererste geenterte Schiff. Bewaffneter Trupp an Bord gegangen. Wetten, das war heikel, Baby. Stellt sich raus, das Schiff hat keine Raketen dabei. Bloß Lkw-Teile und Klopapier. Da ist es wieder, das Alltagsleben, das sich durchsetzen will. Das ist der geheime Sinn dieser Woche. Die geheime Geschichte, die niemals in den geschriebenen Berichten der Zeit oder den öffentlichen Verlautbarungen der Machthaber auftaucht. Diese wunderschönen Bomben und Raketen. Schon mal so was Umwerfendes gesehen? Die Waffen kriegen die besten Ingenieure und die poetischsten Namen.
Währenddessen wartet in Kuba irgendein alter ranziger Bauer auf einen Vergaser für seinen abgewrackten Traktor. Und putzt sich den Hintern mit Salatblättern ab. Und jeden Tag erzählen sie ihm, er muß sich noch was gedulden, jawoll, während sie ihre Großmacht-Beziehungen spielen lassen.« Lenny ging leicht in die Knie und wirbelte herum. »Ihr wißt doch noch, wie eure Mutter mit euch geredet hat, als ihr auf dem Töpfchen gesessen habt. Mach, mein Schätzchen. Mach für Mama.« Weiche Knie und Wirbeln. »Und ihr da, ihr Bullen mit Sonderauftrag. Die Linguisten im Publikum. Eine Sache müßt ihr unbedingt erfahren. Das Wort Smack – für Heroin – kommt vom jiddischen schmek. Habt ihr das gewußt, ihr Experten? Ein Schnupfer, ein Geruch, wie eine Prise Schnupftabak. Kapiert? Der da ist auf schmek, für zweihundert Dollar. Nächstes Mal, wenn ihr einen Junkie einbuchtet, der ein Glaubensgenosse ist« – das Wort kriegt einen kleinen, bellenden Lacher von den Studenten –, »und ihr stopft ihm euren Gummihandschuh in den Arsch, um nachzugucken, was er da so gelagert hat, was ihr da riecht, meine Freunde, das ist schmek. Im Grunde nur ein anderes Wort für Alltagsleben.« Die Polizeibeamten lachten nicht.
Eine Meeresbrise wehte durch den Saal, und die Band spielte jetzt Cha-cha-cha. Eine Frau setzte sich neben ihren Stuhl. Tänzer tauchten am äußersten Ende der Bar auf, sie quollen aus der Lounge heraus, eins-zwo-cha-cha-cha, und Lenny rollte mit der Schulter und wiegte sich in den Hüften. Die Reisebüroangestellten stimmten ab und bestellten noch eine Runde. Die Musik bohrte sich in die Wände wie Chili-Fürze, und ein paar Studentinnen standen auf und tanzten zwischen den Tischen, auf der Stelle. Die richtigen Tänzer bewegten sich in ihren Pastellröcken und weißen Guayabera-Westen durch die Bar wie Boxer in Deckung, während in Kalifornien Testraketen auf sowjetische Ziele umprogrammiert wurden.
Lenny packte das Mikro und schrie: »Wir werden alle sterben!«
Sie lachten, weinten fast. Er führte sie in einen Singsang-Chorus. Der Cha-cha-cha ergoß sich in den Saal, die Tänzer folgten paarweise, wunderschön ausgeglichen, und die Männer und Frauen an den Tischen standen auf und tanzten auf der Stelle, ballten die Fäuste und boxten im Takt. One-two-cha-cha-cha. Sie kickten ihre Schuhe ab und verschütteten ihre Drinks.
Lenny servierte einen Monolog in Spanglisch, und sie waren hin und weg und lachten und weinten fast, und ein junger Mann, der einen Abschluß in Requisiten-Management machte, kippte ein Glas Scotch pur auf ex, einen Steinwurf von Kuba entfernt.
So sagenhaft, so fabelhaft, das ist Miami.
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l8. OKTOBER 1967
M arian Bowman unterhielt sich mit ihrer Mutter. Sie saßen im
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