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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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sein. Für mich ist es wie Leben oder Tod einer Fliege auf einer Mauer in einem Dorf irgendwo in China. So viel macht es mir aus.«
    Sein ausgetrocknetes Lächeln sah keiner gern.
    »Das bedeutet dann wohl, daß du kein Buddhist bist. Denn die Buddhisten, wenn ich das recht verstanden habe«, sagte ihre Mutter und ließ den Gedanken dann zur Decke steigen.
    Marian saß an diesem Abend in ihrem Zimmer und wählte Nicks Nummer. Sie erzählte ihm von ihrem Tag. Es gab nicht viel zu erzählen, denn sie ließ die Demonstrationen weg. Sie fühlte sich bedürftig, launisch und mondsüchtig verdreht, und sie wollte keine Ablenkungen.
    Dann sagte sie ihm, daß sie heiraten wollte. Sie wollte ihn heiraten und mit ihm zusammenleben, egal wo, wo immer er wollte, und keine Kinder haben und keine Freunde haben und niemals mit ihren Eltern essen gehen.
    Am anderen Ende herrschte ein Schweigen, das sie nicht entschlüsseln konnte. Ein Telefonschweigen kann schwer zu entschlüsseln sein, ist grimmig und tief und manchmal verunsichernd. Es fehlt das Abmildernde der Augen, man hat nicht einmal den ausweichenden Blick, während der Partner nachdenkt. In diesem Schweigen gibt es nichts als die tiefe Distanz zwischen beiden.
    Sie beendeten das Gespräch stockend und verlegen, und sie war stinksauer, sauer auf ihn und auf sich, vor allem auf sich, entschied sie, und sie war fest entschlossen, sich wieder auf den Hintern zu setzen und an ihrem Werk der hygienischen Selbstperfektion weiterzuarbeiten, sich weiter zu formen und in ein stabileres Wesen hineinzuzwingen.
    Sie öffnete das Fenster, steckte sich eine Zigarette an und saß da, blies Rauchwolken in die kühle Nachtluft hinaus.
    6. FEBRUAR 1953
    Seine Mutter wollte nicht, daß er an der Ecke Karten spielte, nicht mal mit katholischen Schuljungen, und sie wartete, bis er nach oben gekommen war, und sagte es ihm.
    Er spielte ein Spiel namens Sett'e mezz’, um Pennies, er saß auf der eine Stufe hohen Terrasse vor dem Lebensmittelladen, schlotterte auf dem kalten Stein und merkte sich die Karten, die aus der Hand des Gebers kamen, und gewann ganz regelmäßig, denn wenn er ein Bild erwartete, kam auch eins, was einen halben Punkt wert war, aber sie verbot ihm, wieder zu spielen.
    Doch bevor sie ihm das sagte, saß er in der Kälte und merkte sich die Karten und schloß seine Wetten ab. Wenn er siebeneinhalb kriegte, das bestmögliche Ergebnis, dann drehte er seine verdeckte Karte um und sagte »Sett' e mezz'«.
    Aber als die Dunkelheit sich langsam über die Spieler legte, mußte er die Runde verlassen und zum Metzger gehen, um das Fleisch abzuholen, das seine Mutter früher am Tag gekauft hatte.
    Der Metzger war freundlicher zu ihm, seit Nick auf dem Land war. Der Metzger fragte ihn, ob er alt genug sei, um einen hochzukriegen, und Matty sagte, Fast dreizehn, und der Metzger sagte Salut'.
    Der Metzger sagte, er brauche jemanden, der ihm erzählte, wie das ist, einen hochzukriegen, weil er sich nicht mehr daran erinnern könne, und dasselbe hatte er mehr oder weniger immer zu Nick gesagt, als Nick noch das Fleisch abholen mußte, und Matty hörte es gern, in dem Geruch nach Sägemehl und Blut.
    Als er mit dem Fleisch nach Hause ging, kam eine Frau aus der Bäckerei und zwickte Matty in die Wange, ein kleines, liebevolles Verdrehen der Haut, wie ein Schlüssel sich im Loch dreht, und sie trug ihm Grüße an seine Mutter auf.
    Er kam in seine Straße, und die Jungs spielten immer noch vor dem Lebensmittelladen Karten, im Dunkeln, einige von ihnen hatten ihn früher immer mit seinem Schach aufgezogen, als er noch Schach spielte, oder weil er keinen Vater hatte, und er machte ein paar Runden mit, dachte sich, bei der Eiseskälte kann das Fleisch ja nicht schlecht werden, und er merkte sich die Karten, wenn sie fielen.
    Dann ging er nach oben, und sie sagte zu ihm, sie wolle nicht, daß er spielte. Nicht mal um Pennies, sagte sie zu ihm. Sie sagte, es sähe nicht gut aus und würde zu anderen Dingen führen und anderen Freunden, und sie sagte zu ihm, sie wolle vor den anderen Jungen nichts sagen, egal ob es katholische Schuljungen seien oder nicht, und er stand da mit dem Fleisch im Arm.
    Die beiden waren miteinander allein, und er wollte gehorsam sein. Er spürte das feierliche Gewicht der Situation, das Ausmaß von Nickys Abwesenheit, aber überall saßen die Jungen vor den Türen und an den Ecken und spielten Karten, und er war sich nicht sicher, ob er nein sagen würde, wenn sie ihn

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