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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Beharrlichkeit, daß sie sofort abschalten wollte.
    Sie packte und dachte daran, ihn anzurufen, obwohl er gar nicht da war, bei jemandem im Schulsekretariat eine Nachricht zu hinterlassen, clever und sexy, das würde ihm überhaupt nicht gefallen, aber sie überlegte, ob sie es nicht trotzdem tun sollte.
    ANHÖ war anscheinend ein Kurzwort für Ammoniumnitrat und Heizöl.
    Sie legte die Pullover in die Frisierkommode zurück. Die konnte sie immer noch Thanksgiving mitnehmen, falls sie fand, sie brauchte die Pullover, und in der Zwischenzeit nicht ihre Meinung darüber änderte, ob sie nun passabel waren – was sich allerdings gerade anbahnte.
    Aus dem Radio kam, Kafka ohne f ist Kaka. Jawohl, wir reden von Müll, wir reden von Dünger, wir reden von Müll und Waffen, wir reden von ANHÖ, der Bombe, die im Arsch eines Scheunenhofschweins beginnt.
    SchweineSchweineSchweineSchweineSchweineSchweineSchweine.
    Sie fischte eine Schachtel Zigaretten aus einer Seitentasche des Koffers. Dann öffnete sie das Fenster und steckte sich eine an. Der Lärm kam hereingefegt, Megaphon-Bullen, Nachrichtenmeldungen, Rockmusik, und sie schaltete das Radio aus und saß rauchend am Fenster.
    Sie hatte einen kunterbunten VW-Käfer mit geschminkten Gesichtern hinter den Scheiben gesehen, früher am Tag, auf dem Babcock Drive.
    Sie saß da und blies den Rauch aus dem Fenster, weil ihre Mutter angeblich allergisch war und es sowieso vorgezogen hätte, daß Marian nicht rauchte, und sie zogen ihre Gürtel aus und wickelten sie sich um die Fäuste.
    Und ein Werber von Dow saß in der Handelskammer fest und horchte auf die Knallfrösche, falls es Knallfrösche waren, die davor der Tür zu Raum 104 hochgingen, wo er über den Schreibtisch hinweg mit einem Rekruten redete.
    Auf der unteren State Street brannte der Müll.
    Es kursierten Gerüchte über »Theater Endstation«, eine Truppe, die ihre Existenz nicht bestätigte, und in der Mifflin Street stellte eine Studentin auf einer Veranda im ersten Stock das Radio lauter, als sie zwei Reihen Polizisten in Kampfausrüstung die Straße entlangkommen sah.
    Und drüben auf dem Bibliotheksvorplatz tauchten zwischen den Polizisten immer wieder Mitglieder der San Francisco Mime Troupe auf, falls sie das waren, mehr oder weniger auf Himmelfahrtskommando, weißgeschminkt, mit Panflöten und in Straßensängerkostümen, drolligen und schlecht sitzenden mittelviktorianischen Fummeln, mit Kricketmützen, ein Dutzend junger Männer und Frauen auf der Polizeiseite der Front, die jede Bewegung der Bullen nachmachten und zu einem Polizeiwagen gezerrt und geschlagen wurden.
    Überall hörten die Leute Radio, lauschten dem Dialog zwischen dem Wirklichen und dem Geschnittenen, Gemischten, Bearbeiteten und Abgespielten, und die Lautsprecher servierten Heavy Metal, und eine Frau in der Sendung las vor, was auf den Packungsbeilagen von Dow-Produkten stand, mit einer hauchigen sexy Stimme.
    Die Polizei sprühte jetzt Tränengas, und aus übermütiger Neugier rannten Studenten auf das Gas zu, vielleicht auch, weil es mit einem Apfelblütenduft aromatisiert war, ob man's glaubt oder nicht, ein schnell wirkendes Mittel, das derzeit auch in Vietnam eingesetzt wurde.
    Gewöhnliche Probleme, ungewöhnliche Lösungen – mit Chemie. So lautete der griffige Werbeslogan von Dow, und die Frau im Radio las ihn wieder und wieder mit ihrer weichen, sexy Stimme.
    In drei Gebäuden waren Interviews mit Dow angesetzt, aber vor der Handelskammer fand das Sit-in statt, und da saß der Werber fest, während ihm ein Hamburger in einer weißen Tüte kalt wurde.
    Zwei Polizeitrupps bildeten einen Keil.
    Er sagte zu dem Rekruten: »Also, erzähl mir mal, was zwischen heute und deinem Abschluß passieren soll.«
    Der Junge sagte: »Da draußen hatte einer eine lebendige Ratte.«
    »Jetzt wollen wir mal, äh, hübsch beim Thema bleiben«, sagte der Werber, »und immer, ja, mit der Ruhe.«
    Oder sie liefen auf das Gas zu, weil sie glaubten, die moralische Kraft ihrer Argumente würde die Wirkung der Chemikalie neutralisieren.
    Die San Francisco Mime Troupe sollte gar nicht auf dem Bibliotheksvorplatz sein. Das war das Interessante.
    Und Sympathisanten zündeten hie und da Feuer an oder warfen Scheiben ein, kleine Grüppchen mit Namen wie The Mudville Nine, deren Mitglieder sich mit eiweiß- und backpulvergetränkten Tüchern maskiert hatten, einem Hausmittel gegen das Gas.
    Und in weißen Schwaden stieg Rauch von Geschossen auf, die auf den

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