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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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etwas in irgend etwas anderem in irgend etwas anderem. Kleiner, kleiner, kleiner. Runter, runter, runter. Nächstes Mal Kapitel sieben. Bereiten Sie sich auf einen mündlichen Test vor.«
    Ein kaum hörbares Stöhnen.
    »Maximale öffentliche Peinlichkeit«, sagte Bronzini.
    Sie packten ihren Krempel und stürzten aus dem Klassenzimmer hinaus in die langen Korridore, wo sich noch viertausend andere Schüler unter riesigem, hormonellem Getöse, was den Zustand der Befreiung anzeigte, zu sammeln begannen.
    Es war immer noch Winter, aber heute lag etwas Weiches in der Luft, jene rhythmische Illusion von Frühlingsanfang, von der man sich so gern narren ließ, und Albert machte sich auf seinen üblichen Weg durch die Einkaufsgegend, steckte die Nase in Geschäfte und Nachbarschaftstreffs.
    Hier aß er einen Pignoli-Keks und erkundigte sich nach dem Sohn der Frau, der bei der Artillerie in Korea war. Dort befingerte er seinen Schnurrbart und stand amüsiert neben einem aufgebrachten Meckerer, der sich laut über die lumpigsten Kleinigkeiten beklagte, rotäugig und spuckend.
    Beim Schweinemetzger unterhielt er sich mit ein paar Neuankömmlingen aus Kalabrien, einer Frau und der von ihr mitgeschleiften Tochter, und dabei fielen ihm seine Mutter und seine Schwester ein, am Ende des Erinnerungstunnels, und wie sich das Mädchen praktisch an die Mutter klammerte.
    Jetzt lag die Mutter im einem Grab in Queens, auf einer großen, breiten Wiese mit Steinen und Kreuzen, Tausende von Seelen außerhalb des gewöhnlichen Spektrums, ein souveränes Volk, klaglos.
    Er kaufte hier Fleisch, dort Fisch, und machte sich auf den Heimweg. Er dachte an das Heiligenfest jeden Sommer, wenn die Mitglieder der Kirchenkapelle durch die Straßen zogen und herzschwere Stücke spielten, die Frauengesichter an die offenen Fenster der Miethäuser lockten. Die Musiker folgten dem Brauch, langsam durch eine bestimmte Wohnstraße zu paradieren und bei einem bestimmten Einfamilienhaus anzuhalten, einem Holzhaus mit Vorderveranda und Rosenspalier, dem Haus des Olivenölimporteurs. Wenn sie ihr Spiel unterbrachen, wurden sie von der Familie hereingebeten, und sie kamen in ihrer Musikerkleidung aus schwarzen Hosen und weißen Hemden, mit ihren Instrumenten. So ein alter und würdiger Brauch, die älteren Männer, der dicke Posaunist, der junge Mann, wie ausgehöhlt von der an seinen Oberkörper geschnallten Baßtrommel, sie alle schlurften auf ein Glas Rotwein in das schattige Haus.
    JuJu wollte ihm nicht hinein folgen, aber er mußte. Als Nick hineinging, mußte er auch.
    Er hatte einen toten Menschen sehen wollen, und Nick würde ihm jetzt einen zeigen. Sie standen im Vorraum des Bestattungsinstituts in der Nähe der Third Avenue, wo zwanzig oder dreißig Männer rauchten und redeten.
    »Vielleicht ist das keine gute Idee«, sagte JuJu.
    »Paß bloß auf, daß du nicht lachst.«
    »Wieso soll ich denn lachen?«
    »Zeig Respekt«, sagte Nick. »Die sollen schließlich glauben, daß wir zur Familie gehören.«
    Nick gab ihm einen Schubs, und sie gingen in den Aufbahrungsraum. Frauen saßen auf Klappstühlen und beteten den Rosenkranz, und an den Wänden standen Sofas, jüngere Frauen, die in Schwarz seltsam aussahen, nicht wiederzuerkennen, und mehrere kleine Mädchen standen zwischen ihnen, ernst und blaß.
    Sie traten an den Sarg und schauten hinein. Es war ein alter Mann, weit aufklaffende Nasenlöcher, die Hände eines Zimmermanns oder Maurers, rohe, rauhe Kupferfinger.
    »Da hast du deine Leiche. Laß dir nichts entgehen.«
    Sie knieten am Sarg nieder.
    »So schlimm sieht er nicht aus«, sagte JuJu.
    »Ich glaub, sie haben ihm die Augenbrauen gezupft.«
    »Ich dachte, es wäre anders«, sagte JuJu.
    »Wie, anders?«
    »Ich weiß nicht. Weiß«, sagte JuJu. »Das ganze Gesicht kreideweiß.«
    »Er wird geschminkt und aufgeputzt.«
    »Weiß und steif, dachte ich.«
    »Den findest du nicht steif, diesen Mann?«
    »Er könnte beinahe schlafen. Wenn er im Anzug schlafen würde.«
    »Du bist also enttäuscht.«
    »Ein bißchen bin ich enttäuscht, ja.«
    »Sag's doch noch ein bißchen lauter«, sagte Nick, »damit sie uns auf die Straße zerren und totschlagen können.«
    »Das war keine gute Idee von dir.«
    »Wir sollten einen Umschlag haben«, sagte Nick.
    »Das war keine gute Idee. Was für 'n Umschlag?«
    »Wenn wir zur Familie gehören«, sagte Nick. »Mit einem Meßkärtchen oder Geld.«
    »Ich dachte, einen Umschlag gibt's, wenn du heiratest. Nicht

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