Unterwelt
eine lebendige Heuschrecke gegessen, eine Legende, die es in vielen Vierteln gab, daß dem Jungen der Heuschreckensaft übers Kinn lief, aber in diesem Fall waren auch ältere, verläßlichere Männer dabeigewesen, die es bezeugen konnten, und hier spielten noch andere, düsterere Geschichten, da war ein Mann, der jede Nacht in einem Graben schlief, und die Typen aus dem anderen Billardsalon, Major's, die spät in einer Sommernacht ein Mädchen in die Ruinen brachten und Schlange standen, um's mit ihr zu treiben, und wer das Mädchen war und ob sie es wollte, und viele andere Geschichten aus den Lots.
Dieses Stück Land, das sich weit erstreckte, hieß nämlich die Lots, so wie ein Netz aus Durchgängen die Höfe hieß, und hier war Matty eine Hand poliert worden, bei einem Kartenspiel, das Knöchelhauen hieß.
Er kam in die Wohnung und ging ins Schlafzimmer seiner Mutter, die an ihrer Perlenstickerei saß, und er hielt ihr die Hand vor die Nase.
»Was ist das?«
»Nach was sieht es aus?« sagte er. »Blut.«
»Dann ist es das.«
»Dann solltest du es mal saubermachen.«
»Willst du nicht wissen, was passiert ist?«
»Was ist passiert?«
»Ach, egal«, sagte er.
Er setzte sich ins Wohnzimmer und untersuchte die Spuren und Kratzer, die schmierigen Streifen von getrocknetem Blut. Er schwamm in genüßlichem Selbstmitleid, während er das tat, empfand sogar eine Faszination, eine tierische Verbundenheit, kurz vorm Ablecken, aber dann kam sein Bruder zur Tür herein, früher als sonst, und er versuchte die Hand zu verbergen.
»Was ist das?«
»Nichts.«
»Zeig her, Idiot.«
»Ich muß es nur saubermachen.«
»Da mußt du Jod drauftun. Laß mal sehen.«
»Ich brauch kein Jod«, sagte er mit leiser Beharrlichkeit.
Er streckte die Hand aus und schaute weg, irgendwie taktvoll.
»Er braucht Jod«, sagte Nick zu seiner Mutter.
»Ist das der 7Up-Mann?«
»Jott-oh-dee, Jott-oh-dee.«
Matty wurde klein auf seinem Stuhl, als sich sein Bruder die Hand anschaute. Nicks eigene Hände waren schmutzig und schrundig und so viel größer, fünf, sechs Jahre größer – Männerhände fast, mit Blasen in den Handflächen und Schnitten von Glasscherben.
»Wie ist das passiert? Hast du einem kleinen Mädchen eins aufs Maul gegeben?«
»Kartenspiel auf den Lots.«
»Du gehst auf die Lots?«
»Nur an den Rand.«
»Weiß sie, daß du auf die Lots gehst?«
»Ich geh ja nicht weit rein.«
»Hältst du das für richtig, daß du da hingehst?«
»Was meinst du?«
»Ich meine, geh ruhig. Aber paß auf. Da laufen Jungs von überall rum. Die wissen nicht, daß du mein Bruder bist.« Nick hielt Mattys Hand und schaute sie sich an. »Es tut nicht mehr so weh wie vorhin.«
»Du hast Knöchelhauen gespielt.«
»Genau.«
»Und am Ende hattest du noch Karten in der Hand, und der Sieger hat dich wie oft geschlagen.«
»Ich konnte es mir aussuchen.«
»Das weiß ich noch, mit dem Aussuchen.«
»Entweder verpaßt er mir neun Schrappschläge mit der Kante des Stapels oder vier Schrappschläge und dann einen Killerschlag, hochkant mit dem Stapel.«
»Stumpfes Ende. Wo er dir volle Kanne quer auf die Knöchel haut.«
»Genau«, sagte Matty.
»Eine Frage. Wie kannst du bei einem Kartenspiel für kleine Kinder verlieren, du bist doch so helle, was spielst du mit einem Haufen kleiner Pißpötte?«
»So klein waren sie gar nicht«, sagte Matty.
Nick hielt Mattys Hand. Über die Jahre hatte Nick ihm oft eins übergezogen, ein Schnippen mit dem Mittelfinger, der die Kraft einer Steinschleuder hatte. Oft hatte Nick ihn aus einem Stuhl herausgehoben und sich selber hingesetzt. Einmal hatte er ihn aus dem Fenster gehalten, weil er Schnodder auf einen Türrahmen gerieben hatte. Oft hatte Nick ihm einen Arschtritt verpaßt, und das nur, weil er durch ein Zimmer kam, das Matty beinhaltete.
»Ich glaube, das ist ein Fall für Jod.«
»Ich brauche kein Jod«, flüsterte er.
Er schaute sich seine Hand in Nicks Hand an. Sein Bruder roch nach Arbeit und Hitze und scharfer Salami, der scharfen Salami, die er auf der Arbeit aß.
Ihre Mutter kam herein und schaute sich die Hand an.
Sie sagte: »Mercurochrom.«
Nick nahm ihr die Hand weg.
»Jod«, sagte er.
»Zuerst wäscht er sich die Hand mit Seife und kaltem Wasser. Matthew, hörst du mir zu? Dann trocknet er sich die Hand ab.«
»Dann tut er Jod drauf.«
»Ich will kein Jod«, sagte Matty. »Ich will Mercurochrom.«
»Jod. Das ist stärker, es ist besser, es ist heißer, es
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