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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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und Handbewegungen ohne diese grundlegende Geste hinter sich gebracht hätte.
    »Die Malerei ist Verschwendung. Ich erreiche nichts. Geben wir doch Teresa das Zimmer.«
    »Laß dir Zeit«, sagte er. »Und außerdem, was willst du denn damit erreichen? Mach es doch zu deiner tagtäglichen Befriedigung. Weil es den Tag ausfüllt.«
    Sie hatte einen kleinen Whistler-Druck, die berühmte Mutter des Künstlers, und sie hängte ihn in eine Ecke des Gästezimmers, weil sie fand, daß er normalerweise nicht genug beachtet wurde, und weil sie das formale Gleichgewicht und die wahrhaftigen, gedämpften Farben mochte und weil das Bild so auffallend modern war, die sitzende Frau in Morgenhaube und zweckmäßigem dunklen Kleid, eine Gestalt, aus ihrer Zeit heraus in die abstrakten Arrangements des zwanzigsten Jahrhunderts versetzt, anscheinend lange bevor sie bereit dazu war, aber Klara mochte es auch, durch die Farbkomponenten hindurchzuschauen, durch die hohe Theorie der Farbe, vielleicht sogar die Theorie des Malens – in die Tiefen dieses Bildes hineinzuschauen, auf die Frau, auf die Mutter selbst, auf den situativen Aspekt einer Frau in einem Sessel beim Nachdenken, und sie war unglaublich interessant, so quäkersteif und reglos, scheinbar weit weg, aber nur, weil sie, wie Klara fand, ihren Erinnerungen nachhing, gefangen in einer Erinnerungstrance, eine starke und elegische Präsenz, obwohl es ihrem Sohn, dem dogmatischen Maler, anders lieber gewesen wäre.
    »Nein, wir werden etwas mit dem Zimmer machen. Damit sollte ich mich beschäftigen. Den Raum in einen bewohnbaren Zustand bringen.«
    »Wir haben das vordere Zimmer noch zu machen«, sagte er.
    »Wir haben das vordere Zimmer, das immer noch Niemandsland ist. Ich werde das vordere Zimmer machen. Und dann mache ich das Gästezimmer.«
    »Und ich werde mich auch mehr anstrengen. Leiter der naturwissenschaftlichen Fachschaft. Das soll mein Ziel sein. Und diesen Sommer verreisen wir. Nach Spanien oder Italien. Wohin du willst«, sagte er.
    Sie sah ihm gern beim Essen zu, weil er so inbrünstig mit den Dingen umging und sie genoß, das Besteck benutzte, das Essen gründlich kaute, mit dem Weinglas ein paar Zentimeter vor seinen Lippen innehielt, aber unprätentiös, wartend, genießend, das hatte etwas Irdisches und Erdverbundenes an sich, Albert über einem Teller mit tintigem Tintenfisch – Erde und Meer und wie er Essen auf einem Teller anschaute, alles einatmete, bevor er auch nur eine Gabel anfaßte.
    »Nach Spanien«, sagte sie. »Madrid. In den Prado.« Und sie lachte etwas kalt, mit dem hohlen Tonfall, den sie anschlug, wenn sie sich selbst bestrafte. »Ich will mir Bilder anschauen bis zum Umfallen.«
    Dann sah sie ihn auf der Straße mit einem Freund, einen Army-Navy-Laden ansteuernd, und sie blieb stehen und stand einfach da, stand ihm im Weg, und er rempelte sie beinahe an, bevor er sie erkannte, und er blieb stehen und legte nur sehr geringe Überraschung an den Tag, und sein Freund blieb stehen, und dann ging sie um die beiden herum und auf die andere Straßenseite.
    Am nächsten Tag stand er an der Laterne, als sie aus dem Fenster schaute. Sie hängte im Vorderzimmer neue Vorhänge auf, und er stand da und rauchte. Ein Laster von der Expreßpost fuhr zwischen ihnen hindurch. Dann schaute er auf und sah sie. Er schnippte die Zigarette fort und kam über die Straße.
    Sie warf die Matratze hin. Nick betrachtete die Frau und zog sich das Hemd über den Kopf. Dann betrachtete er sie wieder. Sie stand mit gesenktem Kopf da, als versuchte sie, sich an etwas zu erinnern, und dann öffnete sie einen Knopf an der Seite ihres Rocks.
    Sie küßte nicht zu Ende. Das war interessant und etwas verwirrend, anders als letztes Mal, als sie sich fast bis ins Greisenalter geküßt hatten. Wie sie jetzt abbrach und wegsah, gerade als er dachte, durch einen Kuß würde sie warm und weich werden, und wie sie aussah, als sie es tat, fast verletzt machte sie sich los, und er war überrascht, wie anders sie aussah, nicht so, wie er sie vom letzten Mal in Erinnerung hatte, vielleicht blasser, mit schwerelosen, blutleeren Händen, als schwebten da zwei weiße Objekte vorbei, und Augen, die ein bißchen vorstanden und Dinge zu sehen schienen, von deren Existenz er nichts wußte.
    Aber die Augen schauten auch weg, und das war gleich geblieben, wie das gekräuselte Lächeln, das kleine Zucken im Mundwinkel. Einiges war gleich geblieben. Die Titten waren gleich geblieben, der Arsch und

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