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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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die Küche.
    »Wie du diese Stufen jeden Tag hochkommst.«
    »Drei-, viermal«, sagte Carmela. »Ich kenne jede Stufe beim Vornamen. Ich habe Namen für die Stufen.«
    »Und Mickey fühlt sich besser seit der Operation.«
    »Wenn man das Besserfühlen nennen kann. Er ist genauso wie immer. Ich weiß nicht, ob das besser ist. Weil diese Männer, alles, was die wollen, ist doch bloß in einem Zimmer sitzen und Kartenspielen, siebzehn Stunden lang könnten die spielen. Karten, bis sie tot umfallen.«
    »Aber es hat ihm einen richtigen Schreck eingejagt. Wenn er Karten spielen kann, soll er ruhig, mit mehr Energie. Du hast ihn fast verloren.«
    »Ich glaube, ich würde ihn nicht verlieren, selbst wenn ich nach China ginge«, sagte die Frau.
    Rosemary ging es nach einem Besuch bei Carmela meistens besser. Die Frau lag in ständiger Fehde mit Männern, nicht nur mit ihrem Mann und dem trübseligen Sohn Cosmo, sondern mit Männern überhaupt, und selbst wenn Rosemary nur zu zwei Prozent einer Meinung mit ihr war, fühlte sie sich dennoch irgendwie sauberer, gereinigt wie nach der Beichte, wenn sie eine Tasse Kaffee mit Carmela getrunken hatte.
    »Was ich dich fragen wollte. Hast du was über die Frau aus 607 gehört? Die Großmutter?«
    »Da gibt's nichts zu hören«, sagte Carmela.
    Und sie machte eine Bewegung, die Hand, die unter dem Kinn herwischt, ein Zeichen, das besagte, diese Geschichte brauchen wir nicht ernst zu nehmen. Das Nichts-Zeichen. Eine sehr abfällige Geste, nach Rosemarys Verständnis der Dinge.
    »Du glaubst also nicht.«
    »Wenn ich glauben würde, daß da irgendwas dran wäre, wäre ich die erste, die rüberginge und drauf warten würde, daß er erscheint, um auf die Hände und Knie zu gehen und Gott für dieses Wunder zu danken.«
    Die Frau aus Nummer 607, dem schmalen Haus mit den Dachschindeln, das von zwei Familien und zwei Großeltern bewohnt wurde, hatte im Keller gesessen und ihren Rosenkranz gebetet, und plötzlich schaute sie von den Perlen hoch und sah einen Heiligen in der Tür stehen, Sankt Antonius, und Rosemary brauchte Beistand in dieser Angelegenheit, ein Gefühl dafür, wieviel Glauben sie in der Sache riskieren sollte.
    Carmela tat sich vier Löffel Zucker in den Kaffee.
    »Weißt du, was ich sage, Rose? Domani mattin'. Mit anderen Worten, klar, morgen früh kommt er wieder, und diesmal mit einem Engel, der Trompete bläst.«
    Diese Reaktion war ernüchternd. Denn trotz ihrer grenzenlosen Skepsis war Carmela eine regelmäßige Besucherin der Morgenmesse, und Rosemary hätte gern gehabt, daß sie die Geschichte ernster nahm oder zumindest die Referenzen der Großmutter gelten ließ, lange Gebetssitzungen mit einer Anzahl anderer alter Frauen, alle in Trauerkleidung, beim Beten der Geheimnisse.«
    Zum x-ten Mal sagte ihr Carmela, sie solle ausgehen, unter Leute kommen.
    »Du bist noch jung, Rose.«
    »Ich bin nicht mehr so jung.«
    »Widersprich mir nicht. Du solltest weniger zu Hause hocken und mehr neue Leute kennenlernen. Du gibst dein ganzes Leben für die beiden Jungen hin. Dieser Nicky, ich sag's ja nicht gerne.«
    »Dann sag es auch nicht.«
    »Ich sag's ja nicht gerne, Rose.«
    »Sag es nicht.«
    »Diesem Jungen steht ich-weiß-nicht-was ins Gesicht geschrieben. Du weißt genau, was ich meine.«
    »Er arbeitet hart. Er gibt mir, ohne zu klagen, sein Geld.«
    »Und der andere. Ich weiß nicht.«
    »Wenn du's nicht weißt, Carmela.«
    »Ich weiß nicht, Rose. Der andere. Aber Nicky, den hab ich im Auge. Ich hab diesen Jungen im Auge.«
    »Das ist komisch, denn weißt du was? Ich hab ihn nicht im Auge. Er steht auf, wenn's Tag wird. Er geht zur Arbeit. Er gibt mir sein Geld. Er gibt mir den Umschlag mit seinem Lohn. Und nicht ein Wort der Klage.«
    »Die Mutter erfährt es immer als letzte.«
    »Er ist schnell groß geworden, Nicky. Er ist schon ein Mann. Er hat mehr Verantwortungsgefühl als einer, der zehn Jahre älter ist. Der ist groß geworden wie der Blitz, dieser Junge.«
    »Tut mir leid, Rose. Aber ihn würd ich im Auge behalten.«
    Carmelas Sohn hatte ein Jahr im Korbflechtunterricht verbracht, ein weiteres Jahr in der Hilfsschule und ein drittes Jahr, nachdem er eine Treppe heruntergefallen war, im Bett, um wieder gesund zu werden, drei Mahlzeiten am Tag im Bett, und jetzt lebte er bei seinen Großeltern im Norden des Staates New York.
    Und die sagt mir, sie macht sich Sorgen über meinen.
    Nein, dies war kein durchschnittlicher, befriedigender Besuch bei der Frau im

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