Untitled
werfen. Wahllos griff er ein Blatt heraus und fing an zu lesen.
Eine Viertel Stunde später kehrte Caminiti mit einem Metalltablett zurück, auf dem ein Laib Brot, eine Scheibe Schafskäse, eine weitere Scheibe Käse mit Pfefferkörnern, eine Süßspeise aus Ricotta, eine schon entkorkte Flasche Rotwein und ein Glas zusammengestellt waren.
»Jeh, so viel! Was habt Ihr dafür bezahlt?«
»Nichtsnicht.«
»Was heißt nichts?!«
»Ich bin hinunter in die Trattoria gegangen, habe bestellt, habe gesagt, daß es für den neuen Hauptinspekteur der Mühlen wäre. Da sagte einer, der mit anderen Herrschaften beisammen saß, das würde alles auf seine Rechnung gehen.«
»Und Ihr, heiliger Herrgott, habt das angenommen?«
»Was hätte ich denn tun sollen? Den Kleinlichen spielen? Immerhin war das Don Cocò Afflitto!«
»Und wer ist das?«
»Einer.«
»Gut«, sagte Giovanni, »jetzt nehmt Ihr das Tablett so wie es ist, tragt es wieder hinunter, dankt diesem Herrn und kommt zurück.«
»Was soll das? Wollen Sie nicht mehr essen?«
»Ich werde heute abend essen.« Caminiti zuckte die Schultern.
»Euer Ehren mögen mir verzeihen, aber Sie sind einer, der es wirklich drauf anlegt.«
Der Amtsdiener ging hinaus, Giovanni rühr damit fort, die Papiere zu überfliegen. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Sollte Bendicò wirklich in diesem Büro gearbeitet haben, in dieser Unordnung? Caminiti mußte zurück sein, er rief ihn mit lauter Stimme. »Zu Ihrer Verfügung, Xellenza.«
»Habt Ihr das Zeug hinuntergebracht?«
»Sicher doch, Xellenza.«
»Und was hat der bewußte Herr gesagt… wie heißt er noch gleich?«
»Don Cocò Afflitto. Nichtsnicht, was sollte der schon gesagt haben? Gelacht hat er. Ein witziger Mann ist der, Don Cocò.«
»Sagt einmal: Hat Bendicò wirklich so gearbeitet?«
»So? Wie?«
»Seht Ihr denn nicht diese Unordnung?«
»Ah, nein! Cavaliere Bendicò war außergewöhnlich ordentlich.«
»Wer war es dann?«
»Naja… Leute sind gekommen… Don Ciccio La Mantìa… Advokat Fasùlo…«
»Sind das Beamte des Finanzpräsidiums?«
»Wer?«
»Na die, die Ihr gerade genannt habt, La Mantìa, Fasùlo…«
»Ach woher!«
»Was für Leute sind sie dann?«
»Weiß nicht, was das für Leute sind.«
»Aber Ihr kennt sie doch sogar mit Namen!«
»Was soll das heißen? Eines ist es, den Namen einer Person zu kennen, etwas ganz anderes ist es zu wissen, wer einer ist.«
»Wieso habt Ihr sie hereingelassen?«
»Das hatte seine Xellenza, der Signor Finanzpräsident, so angeordnet.«
Vier Stunden brauchte Giovanni, um ein wenig Ordnung in die Papiere zu bringen. Er hatte sie in zwei große Stapel unterteilt: zum ersten gehörten private Briefe, Zeitungsseiten, unverständliche Notizen, Entwürfe für Antwortschreiben auf Widerspruchseingaben; auf dem zweiten hatte er Dokumente, Memoranden, Berichte gesammelt, die er für würdig hielt, Sie noch einmal zu lesen.
Signora Pippineddra Camastra gehörte nicht zu den Getreuen der Frühmesse von Padre Carnazza. Sie war eine Anhängerin des Angelus. Mit ihrer Gevatterin Nitta Fragalà, die, statt früh in die Kirche zu gehen, Haus und Laden versorgte, sah sie sich daher bei der Abendandacht, und sie gingen dann ein Stück des Weges gemeinsam, weil ihre Häuser in derselben Gasse benachbart waren.
»Da ist diese Frau, von der ich nicht ganz überzeugt bin«, begann Signora Nitta eines Abends. »Wer ist die, Gevatterin?«
»Mit Namen, glaub' ich, heißt sieTrisìna Cìcero.«
»Die kenn' ich. Die ist Witwe. Sie war mit Don Arminio verheiratet, der sechzig war, sie dagegen noch keine zwanzig. Die Kleine hatte Arminio den Kopf verdreht. Und warum seid Ihr von der nicht überzeugt, Gevatterin?«
»In die Kirche ging sie vorher nie. Jetzt sind's ungefähr zwei Wochen, daß sie zur Frühmesse geht und danach schlüpft sie in die Sakristei.«
»Oh, oh«, machte Signora Pippineddra. Die beiden Gevatterinnen wußten, wie Pfarrer Carnazza beschaffen war, was weibliche Oasen mit Palmen anging, aber das regte sie nicht weiter auf: ein Mann ist und bleibt ein Mann, auch wenn er das Gewand des Papstes trägt. Und außerdem, wie sagten die Alten, die mit der Weisheit noch regen Umgang pflegten? Sie sagten:
»Bei Mönch und Pfaffenkloß
hör nur die Meß,
dann gib ihm den Nierenstoß.«
Was bedeutete, daß Pfaffen nur dazu taugten, daß man bei ihnen die heilige Messe hörte, danach durften sie sich
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