Untitled
tatsächlich gedacht, er braucht mich«, sagte sie. »Wow, da habe ich so was von danebengelegen!«
Max’ Tür war zu, aber Gina trat ein, ohne anzuklopfen.
Er stand am Fenster und telefonierte, drehte sich aber um. Vielleicht war es das Feuer, das aus Ginas Ohren schlug, aber ihm war sofort klar, dass er sie auf gar keinen Fall bitten konnte, kurz zu warten. »Ich muss Sie zurückrufen«, sagte er und klappte das Telefon zu.
Max war ein meisterhafter Unterhändler, aber er würde schon ein Wunder brauchen, wenn er sich hier noch einmal herauswinden wollte.
Jules stand im Flur. Er wusste, dass er eigentlich weggehen sollte, aber er konnte nicht. Es war, als würde er Augenzeuge eines Zugunglückes werden, in Zeitlupe.
»Hast du eigentlich einen einzigen Gedanken daran ve r schwendet«, begann Gina, »dass Ajays Tod mich mögliche r weise interessieren könnte?«
Max wurde ganz still. »Ich habe gedacht …«Er schüttelte den Kopf. »Es ging dir nicht besonders gut«, sagte er.
»Um 17.25 Uhr ging es mir nicht besonders gut«, stellte sie klar. »Ganze – was? – sechzehn Stunden nachdem Ajay g e storben war.« Sie begann zu weinen. »Mein Gott, Max! Und in der ganzen Zeit davor konntest du mich nicht einmal a n rufen?«
Er blieb stumm. Was hätte er auch sagen sollen?
»Also was, hattest du zu viel zu tun?«, fragte sie ihn. »Etwa in der Art: Ach, na ja. So was passiert eben. Jeden Tag sterben irgendwelche kleinen Jungen, was soll’s also, wenn es noch einer mehr ist?«
Für Jules war klar, dass Max sich furchtbar fühlte. Dass er am Boden zerstört war. Dass er nicht gewusst hatte, wie er es ihr sagen sollte, dass er nicht wusste, was er jetzt sagen sollte, dass er nicht in der Lage war, seinen Schmerz in Worte zu fassen.
Aber vielleicht war das auch nur das, was Jules sehen wollte. Anstelle dieses schweigenden, ausdruckslosen, emotionalen Nichts von einem Mann.
»Was ist denn bloß los mit dir?«, flüsterte Gina.
Ihre Worte schienen im Raum zu hängen wie der Staub in den Sonnenstrahlen, die zum Fenster hereindrangen. Schweigend standen sie da.
Dann klingelte Max’ Telefon. Er räusperte sich. »Tut mir leid«, sagte er mit gepresster Stimme. »Ich habe dir oft genug gesagt, dass ich dir nicht geben kann, was du willst.«
»Tja, anscheinend nicht«, sagte Gina. »Aber vielen Dank, dass du es wenigstens probiert hast – oh, Moment mal. Du hast es ja gar nicht probiert.« Sie wandte sich an Jules, der immer noch wie ein Idiot im Flur stand. »Ich fahre mit dem Taxi zu dir zurück.«
»Jules kann dich bringen«, sagte Max, während sein Tel e fon unentwegt weiterklingelte.
»Ich weiß, dass ihr geschäftliche Dinge zu besprechen habt«, entgegnete Gina steif.
»Das kann warten.«
»Egal«, meinte Gina und ging hinaus.
Jules hielt immer noch die Gitarre in der Hand. »Soll ich die …«
»Lass sie da«, sagte sie im Weggehen.
Als Jules ins Zimmer zurückkam, nahm Max gerade den Anruf entgegen.
»Bhagat«, murmelte Max. »Ja.« Er schloss die Augen. »Ja.«
Es musste ihm doch klar sein, dass Gina nicht wieder zurückkommen würde.
Machte es ihm denn gar nichts aus, dass sie sich nicht ei n mal von ihm verabschiedet hatte?
Der Schmerz, den Jules sowohl für Gina als auch für Max empfand, lag ihm schwer im Magen, und er stellte die Gitarre in die Ecke. So eine Verschwendung.
Max schlug die Augen auf, sah, dass Jules immer noch da war und schickte ihn mit einer Handbewegung fort. Seine Lippen formten ein stummes »Geh«, die Zähne hatte er fest zusammengebissen.
»Herzliches Beileid, Sir«, sagte Jules, aber er war sich nicht sicher, ob Max ihn überhaupt gehört hatte.
Hotel Elbehof, Hamburg, Deutschland
21. Juni 2005
Gegenwart
Kein Zweifel: Das Spielchen guter FBI-Agent/durchgeknallter FBI-Agent funktionierte nicht besonders gut, wenn gar kein guter FBI-Agent im Zimmer war.
Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die geistige Umnachtung ja eigentlich nur gespielt sein sollte.
Als Grady Morant erschlaffte, verpasste die Realität Max zwei unangenehme Backpfeifen in Form zweier Erkenntnisse. Erstens: Der Hundesohn hatte nicht versucht, ihn mit diesem Kugelschreiber zu erstechen, und zweitens: Wenn er tot war, konnte er Max nicht bei der Suche nach Gina behilflich sein.
Korrigiere: Wenn Morant tot blieb, konnte er nicht bei der Suche nach Gina behilflich sein.
Vorsichtig, für den Fall, dass die Schlaffheit vorgetäuscht war, ließ Max den Drecksack los und …
Die
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