Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: nanu
Vom Netzwerk:
Harriet-Beecher-Stowe-Abteilung stiften sollten.
    »Noch eine Bekanntmachung, sie betrifft unseren letz ­ ten Redner.« Sie neigte sich dem Publikum zu. »Unser Schlussredner, Keith Andrews, hat soeben ein Bundessti ­ pendium erhalten.« Miss Ferrell fing an zu klatschen. Der Abschlussredner, ein schlacksiger Bursche, stand auf. Der heilige Andrews, dachte ich. Er hatte etwas Heiliges an sich, aber vielleicht hatte jeder Klassenbeste diese Aura. Keith hatte einen Kopf, der zu klein war für seinen Körper, und sein mittelbrauner Bubikopf, der sich vom Borstenschnitt der meisten seiner Klassenkameraden abhob, strahlte im Licht der Messingleuchter wie ein Heiligenschein. Keith Andrews hatte auch nichts für die modische Kleidung übrig, die die meisten seiner Altersgenossen bevorzugten. Er trug einen weiten, glänzenden A n zug, der sicher aus einem Bil ­ ligkaufhaus stammte.
    Keith streckte eine knochige Hand nach dem Mikrofon aus. Einige Eltern wurden stocksteif. Sie waren hergekom ­ men, um ihre Kinder glänzen zu sehen und nicht irgend einen Bunde s stipendiaten, der zugeknöpft in Polyester er ­ schien.
    »Was ist ein gebildeter Mensch?« begann Keith mit einer übe r raschend tiefen Stimme für einen so schmächtigen, lin ­ kischen Burschen. Ich sah plötzlich ein Bild vor Augen: In seiner linkischen Art, mit seinen niedergeschlagenen Augen und dem Mangel an sportlicher Ausstrahlung erin ­ nerte Keith Andrews mich an Arch. Würde mein Sohn in sechs Jahren aussehen wie er?
    An einem der Schülertische wurde wieder ein schrilles Lachen laut. Miss Ferrell, die neben Keith Andrews stand, bedachte das Grüppchen mit einem scharfen Blick. Ein Raunen der Eltern drang durch die stickige Luft.
    »Unser Wort Bildung bedeutet, einen Menschen nach einem Bild zu prägen«, führte Keith unbeirrt aus. »Der Bil ­ dung geht es in erster Linie um die Gestaltung der Per ­ sönlichkeit, nicht um gute Noten, obwohl wir auf diesem Gebiet besser abschneiden könnten«, erklärte er mit einem Grinsen. Erneutes Gekicher, während vom Direktortisch Seufzen herüberklang. Selbst ich wusste, worum es ging: Vor kurzem hatte die Denver Post in einem Artikel die Abschlussnoten an der Privatschule Elk Park mit den Abschlussnoten staatlicher High Schools der Umgebung ver ­ glichen. Der Notendurchschnitt an der Privatschule war schlechter als der ihrer staatlichen Gegenstücke, sehr zum Leidwesen von Direktor Perkins.
    Keith fuhr fort: »Ist Bildung nur an renommierten Schu ­ len zu erreichen? Oder ist unser Streben, an solche Schu ­ len zu kommen, lediglich Ausdruck unseres Geltungs ­ dranges?« Eltern und Schüler sahen sich mit gerunzelter Stirn an. Die Frage berührte eindeutig gefährliches Terrain. »Für mich heißt Bildung, dass ich lerne, mich auf den Weg statt auf das Ziel zu konzentrieren...« So tönte es weiter, während ich mich mit leeren Nachtischschälchen in die Küche zurückzog, um den Rücktransport des schmutzigen G e schirrs in Angriff zu nehmen. Wie vorherzusehen war, verfügte die antiquierte Küche im Haus des Direktors nicht über eine Spü l maschine.
    Als ich mit Kaffeekannen wieder in den Speisesaal kam, um die Tassen nachzufüllen, endete Keith gerade mit den Worten: »... uns immer zu fragen, ist das Integrität oder Heuchelei? Ist das eine Eintrittskarte für eine Stellung oder Bildung fürs Leben? Hoffen wir, es ist letzteres. Ich danke Ihnen.«
    Rot vor Verlegenheit oder Freude verließ Keith das Mikrofon unter leidenschaftslos rieselndem Applaus.
    Eine schwache Würdigung, wenn man mich fragte, aber vielleicht lag es an der Tatsache, dass seine Ansprache we ­ niger dem Abschlussredner der Abschlussklasse als einem politischen Wahlkandidaten entsprochen hatte.
    »Also, wir sehen uns später wieder...« erklärte Miss Fer ­ rell. »Und die Schüler und Schülerinnen der Abschlussklasse denken bitte daran, sich in der kommenden Woche über die Termine für die Besuche der Collegevertreter zu informieren...«
    Meine Hilfskräfte räumten Kaffeetassen, Unterteller, Desser t schalen und Besteck zusammen. Ich ging mit mei ­ nem zweiten Tablett in die Küche. In der Eingangshalle schwollen die G e räusche der Leute, die nach Mänteln und Stiefeln kramten, zu einem kleinen Getöse an.
    Und plötzlich herrschte völlige Dunkelheit.
    »Was zum...« Ich hatte diese Sicherungen auf keinen Fall durchbrennen lassen. Ich hatte gerade alle Kaffeemaschi ­ nen a b geschaltet.
    Geschrei und Geschiebe erfüllte

Weitere Kostenlose Bücher