Untot mit Biss
Ich seufzte. »Na schön. Ihr könnt die anderen haben.«
Sofort stieg ein wallender Mahlstrom aus Geistern auf, wie ein bunter Schneesturm. Die Wolke war so dicht, dass sie mir für einen Moment die Sicht auf alles dahinter nahm, und die Geister steckten so voller Zorn, dass ihr gemeinsames Heulen nach einem Güterzug klang. Und dann, einen Augenblick später, waren sie fort. Ich versuchte nicht, ihnen mit meinen Sinnen zu folgen – ich wollte gar nicht sehen, was sie anstellten.
Als ich die Hände von den Ohren sinken ließ, fühlte ich Mirceas Blick auf mir.
In seinen Augen zeigte sich eine gewisse Wachsamkeit. Ich seufzte. Dieses Gespräch wollte ich nicht führen, ich wünschte es mir sogar noch weniger als eine neue Konfrontation mit Rasputin, aber es ließ sich nicht vermeiden. »Ich glaube, wir haben es geschafft«, sagte ich. »Hast du Radu alles erklärt?«
Mircea nickte langsam. »Ja. Er hat sich bereit erklärt, Louis-César zu verwandeln und ihm die Möglichkeit zu geben, sich frei zu entwickeln, wie es bereits geschehen ist. Radu wird entkommen, aber für hundert Jahre den Kontakt mit allen anderen meiden, bis ich ihn aus der Bastille rette. Und selbst danach wird er sich zurückhalten. Genügt das?«
Ich dachte darüber nach. Es war nicht perfekt, aber es gab keine Alternative, abgesehen davon, ihn für dreieinhalb Jahrhunderte einzusperren. Und ich bezweifelte, dass Mircea damit einverstanden gewesen wäre. »Ja, ich denke schon. Vorausgesetzt, er schafft bis zu unserer Zeit keine weiteren Vampire.
Rasputin sorgt bereits für genug nicht registrierte Vampire; wir brauchen niemanden, der ihm dabei hilft. Oh, und erzähl Radu von Françoise. Ich habe so das Gefühl, dass einige Magier versuchen könnten, sich heute Abend an ihr schadlos zu halten.«
Mircea war so fertig, dass er nicht einmal fragte, was ich meinte. »Wie du möchtest.«
Ich deutete durch den Raum. »Wie viel von all dem hast du gesehen?«
»Nur sehr wenig. Aber da wir noch leben, bin ich davon ausgegangen, dass wir gewonnen haben.«
»Nicht unbedingt.« Ich erklärte ihm die Situation, wozu auch meine Beförderung gehörte. Er erfuhr ohnehin davon, wenn wir zurückkehrten und er Agnes tot vorfand. »Du musst dem Senat mitteilen, dass Rasputin entkam und die Sibylle ihn begleitete. Ich weiß nicht, ob sie ihre Macht jetzt behält, aber das könnte durchaus sein.« Der Umstand, dass Myra unmittelbar nach meinem Gespräch mit der Pythia aktiv geworden war, wies darauf hin. Vielleicht ließen ihre Kräfte mit der Zeit nach, doch sicher sein konnte ich nicht. Woraus sich ein ziemlich großes Problem für mich ergab. Wenn sie sich erholt hatte, versuchte sie vielleicht, das mit mir anzustellen, was sie mit Louis-Cesar hatte machen wollen. Es gab zahlreiche Möglichkeiten, darunter auch die, mich als Kind zu töten oder meine Eltern anzugreifen, bevor sie mich zeugten – dann wurde ich nie geboren. Die einzige gute Sache für mich bestand darin, dass ich den größten Teil meines Lebens in Tonys Festung verbracht hatte, dem Vampir Äquivalent von Fort Knox, oder im Verborgenen. Ich bot also kein leichtes Ziel. Doch etwas sagte mir, dass Rasputin eine Herausforderung zu schätzen wusste. Mircea blieb eine ganze Weile still. Als er schließlich sprach, klang er so müde, wie ich mich fühlte. »Du könntest es dem Senat selbst sagen.« Ich lächelte. »Nein, ich glaube, das kann ich nicht.« Er wollte etwas erwidern, aber ich legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. Zumindest bei einer Sache war ich mir sicher. »Ich kehre nicht dorthin zurück, Mircea. Es war schon vorher schlimm genug, aber jetzt werden sich alle um mich streiten: der Senat, die beiden Kreise, vielleicht Tomas … Nein. Was für ein Leben wäre das?«
Mircea nahm meine Hand und küsste die Finger. Seine Augen waren müde, aber trotzdem schön, als er mich ansah. Der bernsteinfarbene Glanz überlagerte das Blau von Louis-Cesar. Ich hatte das Gefühl, dass ich nie wieder eine so faszinierende – und traurige – Mischung sehen würde. »Du kannst nicht für immer weglaufen, Cassie.«
»Ich habe mich versteckt. Das kann ich erneut.«
»Du bist schon einmal gefunden worden.« Er drückte meine Hand, ganz fest, und ich ließ ihn. Vielleicht dauerte es eine Weile, bis ich wieder eine andere Person berühren konnte, noch dazu eine, an der mir etwas lag. »Nur von dir und Marlowe«, erwiderte ich sanft. »Sag ihm, dass er Urlaub machen soll. Er muss sich von dem
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