Untot | Sie sind zurück und hungrig
das ist noch nicht alles. Ich greife mir mit einer zitternden Hand an den Kopf.
Die haben mir die Haare abrasiert.
Ich beuge mich näher zum Fenster heran, damit ich mein Spiegelbild besser sehen kann. Seitlich an der Stirn prangt eine riesige Narbe. Ich fahre mit bebenden Fingern über einen Flickenteppich fast verheilter Wunden, ein Geflecht von Stichen. Was ist mit mir passiert? Tränen des Selbstmitleids brennen in meinen Augen. Lass das. Krieg jetzt bloß keinen Zusammenbruch, du feiges Ding.
Jetzt reicht’s aber; ich brauche Antworten.
»Hallo?«
Meine Stimme klingt, als hätte ich mit Wespen gegurgelt. Fast könnte ich darüber lachen, wenn’s nicht so gruselig wäre.
Ich kralle mich am Laken fest und ziehe mich in eine sitzende Position hoch. Die Bodenfliesen sind kalt unter meinen nackten Füßen. Kann ich stehen? Alles tut weh. Aber ich muss hier raus. Muss abhauen, überleben, alles wieder zurück auf Anfang.
Hinter mir fliegt eine Tür auf.
Ich fahre herum, schwanke. Da steht eine Gestalt, die Lippen zu einem grotesken Lächeln verzerrt. Mit ausgestreckten Armen saust das Vieh auf mich zu und bevor ich noch ohnmächtig umfallen kann, hat es mich gepackt.
Ich höre seinen Aufschrei, als ich auf dem Bett zusammenbreche und mich so heftig zur Wehr setze, wie’s mir möglich ist – also gar nicht. Stattdessen verkrieche ich mich bloß unter der Bettdecke, kneife die Augen zu und warte auf den Biss. Dass ich mich zu einer Kugel zusammengerollt habe, wird mir auch nichts nützen.
»Du darfst noch nicht aufstehen!«
Das glaub ich nicht.
Das Vieh spricht mit mir. Normalerweise reden die nicht. Und es versucht auch nicht, sich zu meinem Gehirn durchzuknabbern. Vielleicht war ich ein bisschen voreilig mit meinem Urteil. Ich spähe unter der Bettdecke hervor.
»Entschuldige, ich wollte dir keinen Schrecken einjagen.«
Eine Frau. Eine lebendige.
Wieder das Lächeln – dieser Riesenmund mit den grabsteingroßen Pferdezähnen. Kein schöner Anblick, aber auch kein monstermäßiger. Sie trägt eine Brille und hat Apfelbäckchen und gelockte rötlich graue Haare. Und sie ist ein Riesenbrummer. Humpty Dumpty auf Steroiden. Das ist keine fiese Übertreibung, sie ist wirklich der erste kugelrunde Mensch, den ich je leibhaftig gesehen habe. Und wie viel Leib das ist!
Ich starre sie blinzelnd an. Öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber es kommt nichts heraus.
»Ich bin Martha.« Ihre Stimme ist leise, besänftigend; ihr Blick intelligent.
Ich setze mich im Bett ein Stück auf.
»Hallo.« Ich finde meine Stimme wieder, die kaum mehr ist als ein Krächzen.
»Ich arbeite hier im Krankenhaus. Ich tue dir nichts.« Sie wartet, beinahe, als ob sie mir höflich Gelegenheit geben will, sie näher zu bitten. Nett, aber ich werde immer misstrauisch, wenn Erwachsene mich als ebenbürtig behandeln. »Entschuldige bitte, dass ich dich angeschrien habe. Es war ein ziemlicher Schock für mich, dass du wach bist – ein freudiger Schock natürlich!« Sie strahlt. »Darf ich mich setzen?«
»Klar.«
Sie bewegt sich auf mich zu wie auf Rädern, ganz sacht, und schnappt sich auf dem Weg zum Bett mit einem Handgriff einen Stuhl. Sie stellt ihn leise ans Kopfende.
Ich schaue den leichten Plastikstuhl an und sie liest meine Gedanken.
»Die sind so konstruiert, dass sie einiges aushalten, keine Sorge.«
Ich laufe knallrot an.
Martha setzt sich langsam, der Stuhl knarrt ein bisschen, aber er hält. Sie faltet die Hände vor ihrem massigen Bauch; sie sind erstaunlich schmal, mit perfekt manikürten Fingernägeln und blassrosa Nagellack. An dem einen ihrer schlanken Finger trägt sie einen schimmernden Opalring.
»Du hast bestimmt alle möglichen Fragen; ich geb dir zuerst mal eine Zusammenfassung.«
»Okay.«
»Du bist in einen Busunfall verwickelt gewesen. Dabei hast du dir Kopf- und Beinverletzungen zugezogen, die aber gut heilen. Was das betrifft, besteht kein Grund zur Sorge. Du bist ziemlich lange bewusstlos gewesen. Wir haben deine Lebensfunktionen überwacht. Erinnerst du dich an irgendetwas hier im Krankenhaus, vor heute?« Sie beugt sich leicht vor.
Ich schüttele den Kopf. »Wie lange war ich ohnmächtig?«
Sie holt Luft und fragt sich anscheinend, ob ich gleich ausflippen werde. Könnte glatt passieren, ich weiß es selber nicht.
»Knapp sechs Wochen.« Ihre Augenbrauen schießen in die Höhe, als ob sie es selber gerade erst ausgerechnet hat. »Vierzig Tage, um genau zu sein.«
Ich muss schlucken.
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