Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
diejenige sein sollte, die ihm hilft? Warum? In Gedenken an Tristram?«
Tristram, der süße Tris, der im Morgengrauen so einsam in der Heidelandschaft gestorben war und um den nur sie getrauert hatte.
»Ich schlage vor, Sie rufen Jacks Cousin Gervaise her«, sagte sie und musste sich mühsam zusammenreißen, um aufrecht stehen zu bleiben. »Immerhin ist er Ihr neuer Dienstherr.«
Chambers sah sie an. »Glauben Sie wirklich, dass Mr Gervaise der Mensch ist, der ihm jetzt helfen kann?«
Olivia schloss die Augen. Sie umklammerte mit den Händen ihren Rock, damit sie nicht mehr zitterten. Natürlich würde Gervaise ihm nicht helfen. Gervaise würde keine Sekunde vergeuden, die Welt darüber in Kenntnis zu setzen – voller Bedauern selbstverständlich –, dass sein Cousin, der Earl, beim Landesverrat erwischt worden wäre.
»Seine Mutter war Französin, wissen Sie«, würde Gervaise mit einem traurigen Kopfschütteln sagen. Es würde ausreichen, um Jack für vogelfrei zu erklären.
Ihr Herz pochte wild. Schmerz breitete sich in ihren Schläfen aus, und sie wusste, dass sie schwitzte. Wie konnte Chambers das von ihr verlangen?
Doch sie hatte Jack einst geliebt. Für sie war es ein Wunder gewesen, dass er sie gebeten hatte, ihn zu heiraten; sie, die Tochter eines einfachen Vikars, der im Dienste von Jacks Vater seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Elf Monate lang hatte sie als Jacks Ehefrau gelebt und drei weitere Jahre gehofft und gebetet, dass er zur Vernunft kommen und sie nach Hause holen würde.
Aber diese dumme Hoffnung hatte sie längst überwunden. Er würde seine Meinung nicht ändern. Er würde sie nicht bitten, zu ihm zurückzukehren. Er würde sie nicht um Verzeihung bitten. Es gab keinen Grund für sie, ihm zu helfen.
»Sie wissen wirklich nicht, wie er hierhergekommen ist?«, fragte sie.
»Die Nachricht, die er geschickt hat, war das erste Lebenszeichen, das ich seit zwei Jahren von ihm bekommen habe.«
Sie nickte. Verzweifelt versuchte sie, sich zu beruhigen.
»Was sollen wir tun?«, fragte Chambers, als ginge er davon aus, dass sie helfen würde.
Sie konnte es nicht tun. Sie bewegte sich sowieso schon auf einem schmalen Grat. Gott allein wusste, was passieren konnte, wenn sie Jack jetzt half.
Es war egal. Sie konnte auch nicht einfach gehen.
»Wir müssen ihm diese verdammte Uniform ausziehen«, versetzte sie knapp.
Und plötzlich lag sie auf den Knien, streckte den Arm aus und strich Jack über die Wange. Gott, wie sollte sie das alles nur noch mal durchstehen?
Sie blickte auf und ertappte Chambers dabei, wie er sie anstarrte. Wahrscheinlich war er empört über ihre Ausdrucksweise. Sie beachtete ihn nicht weiter. Die Finger an Jacks Hals gelegt, suchte sie seinen Puls.
Schwach, aber regelmäßig. Er lebte. »Ziehen Sie einem der toten englischen Soldaten den Uniformrock aus«, trug sie Chambers auf. Wieder schloss sie die Augen und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, um Vergebung für das Sakrileg zu erbitten, das sie begehen würde. Dann wappnete sie sich für das Kommende. »Ich werde Jack ausziehen.«
Mit zitternden Fingern begann sie, die blutverschmierten Messingknöpfe an Jacks Rock zu öffnen. Das letzte Mal, als sie Jacks Rock aufgemacht hatte, hatten sie einander umschlungen gehalten, zu ungeduldig, den anderen zu berühren, um sich Gedanken um abgerissene Knöpfe oder kaputte Säume zu machen. Sein Verlangen nach ihr war unersättlich gewesen. Sie war von ihm fasziniert.
Doch das hatte nicht gereicht.
»Holen Sie den Rock von jemandem, der eine blutige Wunde hat«, wies sie Chambers an. »Niemand soll Zweifel an seinem Äußeren bekommen.«
Zumindest musste sie sich nicht um die graue Unterkleidung kümmern, denn die wurde bei beiden Armeen getragen. Doch selbst ihm den Rock auszuziehen war der reinste Kampf. Schlaff hing Jack in ihren Armen.
Er war dünner geworden. Egal, was sie sonst in ihrem Innern verschlossen hatte – seinen Körper hatte sie nie vergessen. Er war noch immer muskulös, seine Gliedmaßen lang und elegant, die Schultern breit. Es juckte sie in den Fingern, dieses geliebte Gebiet zu erkunden. Der maßgeschneiderte Uniformrock hing von seiner etwas schmaler gewordenen Brust, und seine Hüftknochen ragten hervor.
Sie konnte nicht darüber nachdenken. Und sie konnte auch nicht darüber nachdenken, dass diese Uniform für den Jack geschneidert worden war, der er noch vor einiger Zeit und mit zwanzig Pfund mehr auf den Rippen gewesen war.
»Er hatte
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