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Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)

Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)

Titel: Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eileen Dreyer
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erstreckten sich bis zum Horizont. Die Straße war aufgewühlt, und überall lagen zerbrochene Wagen, tote Pferde, zurückgelassene Ausrüstung herum. Verwundete Soldaten, die sich nach Brüssel durchschlugen, kamen ihnen entgegen. Mehr als ein Mal sah Olivia Soldaten, die sich auf dem beschwerlichen Weg zum Ausruhen in den Schatten unter einen Baum gesetzt hatten und nicht wieder aufgestanden waren. Der Gestank war unbeschreiblich: Tod und Rauch und Blut. Diesen Geruch würde Olivia für den Rest ihres Lebens nicht vergessen.
    Sie dachte, dass sie in Brüssel schon viel Leid gesehen hatte. Doch ein Blick auf die Männer, die an ihnen vorbeikamen, belehrte sie eines Besseren. Sie bewegten sich wie lebendige Tote: ausgezehrt, mit verschmierten Gesichtern, zerlumpt und blutig, stützten sie einander oder setzten sich einfach mitten auf die Straße, wenn sie nicht mehr weiterlaufen konnten. Sie nahmen den seltsamen Anblick von zwei Frauen auf dem Weg zum Schlachtfeld kaum wahr. Diejenigen, die sie bemerkten, waren eher an den Pferden interessiert, aber Sergeant Harpers Anwesenheit reichte aus, um eventuelle Gedanken an einen Diebstahl zu vertreiben.
    Stundenlang kämpften sie sich weiter. Das Licht des späten Sommerabends wies ihnen den Weg. Das Geratter von Gewehrschüssen zerriss die Stille, und am Horizont stieg hier und da Rauch auf. Olivia konnte im Osten, als sie den Mont St. Jean erreichten und in westliche Richtung auf die Nivelles Road bogen, Zelte und Lichter sehen.
    »Wir sind fast da, Ma’am«, sagte Sergeant Harper. Unentwegt hielt er nach Gefahren Ausschau und hatte den Finger immer am Abzug, als Grace die Kutsche an einem weiteren umgekippten Wagen vorbeilenkte. »Sehen Sie den Rauch?«
    Was erkannte er dort? Überall war Rauch. Der allmählich dunkler werdende Himmel verschwamm darin. Die Sonne war untergegangen, und es dämmerte, sodass die Szenerie noch tiefer im Schatten lag. Olivia spähte in die Richtung, in die Harper wies, und mit einem Mal stockte ihr Herz.
    Um Gottes willen. Das konnte nicht wahr sein. Wie hatte auch nur ein Mann dieses Massaker überleben können? Die Kornfelder gab es nicht mehr. An ihrer Stelle lag ein Teppich aus Toten – Leichen in Rot und Blau und Grün wie Blumen, die im Sturm umgeknickt waren, Reihen von toten Soldaten, Haufen von toten Soldaten. Das schwache Licht des Tages brach sich in Schwertern und Brustpanzern und Waffen. Hunderte von Pferden wanden sich im Todeskampf, einige von ihnen waren bereits aufgedunsen.
    Und dann die Schreie. Menschliche. Tierische. Die schreckliche, schauerliche Totenklage der Verdammten, die zwischen den zerstörten Bäumen emporstieg und ihr Innerstes aufwühlte.
    »Der Herr steh uns bei«, flüsterte Sergeant Harper, und sogar er klang erschüttert.
    Menschen beugten sich, Laternen in der Hand, über die Gefallenen. Olivia bezweifelte, dass sie alle gekommen waren, um zu helfen. Sie wollte mit ihrer Pistole von der Kutsche springen und sie verjagen.
    »Dort, glaube ich, Sergeant«, sagte Grace unvermittelt und streckte den Arm aus. Ihre Aufmerksamkeit wurde von einer Rauchsäule gefesselt, die über den Bäumen aufstieg. »Die westliche Flanke.«
    Auch Olivia sah es nun. Eine rote Steinmauer. Zerstörte Bauernhäuser aus Stein, weiß verputzt. Flammen züngelten noch immer aus den leeren Fenstern. Noch mehr Leichen, an den Wänden übereinandergelegt, zwischen gespaltenen Bäumen: lebendig, tot, auseinandergerissen wie Puppen. Noch mehr Rauch, der die Konturen der schrecklichen Szene verschwimmen ließ. Olivia schluckte schwer und wischte sich die Hände an ihrem Kleid ab. Wie sollten sie hier Graces Vater finden? Wie sollten sie sich diesem Grauen stellen?
    »Hier, glaube ich, Sean«, sagte Grace leise, als sie die nördliche Wand des Grundstückes erreichten. »Bei den Toren.«
    Die Kutsche hielt, und Grace legte die Zügel auf den Schoß des Sergeants.
    »Ich sehe nach«, sagte Harper und ergriff ihre Hand. »Sie bleiben.«
    Grace tätschelte seinen Arm. »Niemand wird ein paar Frauen bemerken, wenn hier eine Kutsche und Pferde stehen.«
    Olivia war sich da nicht so sicher. Trotzdem überzeugte Grace Harper schließlich, und er half Grace und Olivia vom Kutschbock.
    »Wir werden in der Nähe bleiben«, versprach Grace und nahm eine der Laternen entgegen, die Harper nach unten reichte.
    Sehr viel langsamer folgte Olivia ihr. Sie konnte das hier nicht tun. Sie konnte keine der Leichen umdrehen. Sie konnte die Vorstellung nicht

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