Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
wenig Abenteuer gesucht.«
Ein kleines Lächeln auf den Lippen, schnalzte er mit der Zunge und trieb die Pferde an.
Sie kamen nicht weiter als bis zum Rand des Obstgartens, ehe Harper die Kutsche wieder anhielt. Eine Gruppe verwundeter Soldaten verstellte ihnen den Weg. In ihrer Mitte stand Chambers mit einer Pistole in der Hand. Jack lag zu seinen Füßen. Olivia blinzelte und war einen Moment lang verwirrt. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie Chambers und Jack ganz vergessen. Als sie Jack sah, spürte sie, wie ihr Mut sank.
»Wir brauchen die Möglichkeit mitzufahren«, sagte Chambers ruhig, als wäre er tatsächlich ein Offizier, der auf diesem Schlachtfeld mit den anderen zusammen verwundet worden war. »Ich würde Ihre Hilfe zu würdigen wissen.«
Der Sergeant reagierte gereizt. »Nehmen Sie die Waffe runter, Junge. Viele Männer brauchen Hilfe.«
Chambers hob die Pistole höher. »Gut. Dann macht es Ihnen ja nichts aus, ein paar von ihnen mitzunehmen.«
»Ich werde nicht …«
»Bitte«, flehte Olivia und legte ihre Hand auf den Arm des Sergeants, »sicherlich können wir helfen.«
»Olivia?«, erklang Graces Stimme. Olivia drehte sich um und sah, dass ihre Freundin sich aus dem Fenster der Kutsche beugte.
Olivia betrachtete das traurige, angespannte Gesicht ihrer Freundin. Aus Angst vor dem, was sie tun musste, brachte sie kaum ein Wort über die Lippen.
»Diese Männer müssen von hier fortgebracht werden«, sagte sie. »Könnten wir sie nicht mitnehmen – zumindest bis zum Lazarett?«
Grace blickte sie an, als könnte sie im schummrigen Licht der Kutscherlampen Olivias Absichten erkennen.
»Bitte, Grace«, flehte Olivia. »Für mich.«
Grace sagte nichts. Sie machte die Tür auf und gab Chambers ein Zeichen, Jack in die Kutsche zu heben. Mit dem Wissen, soeben ihr Schicksal besiegelt zu haben, kletterte Olivia vom Kutschbock herab, um zu helfen.
Kapitel 4
Er war … er …
War er tot? War das hier die Hölle? Da war … er war … Er konnte nicht nachdenken … zu viel Schmerz … zu viel …
Doch er musste weitermachen. Er musste sie finden … Wen musste er finden? Was hatte er für sie?
Er konnte sich nicht … erinnern …
»Oh, hören Sie auf, Sergeant«, bat Olivia und streckte den Arm aus, als er gerade einen weiteren Stich in Jacks Bein setzen wollte. »Er hat gerade die Augen aufgeschlagen. Er kann den Stich spüren.«
Der Sergeant richtete sich auf und drückte den Rücken durch. Seit zwei Stunden waren sie in Lady Kates zweitbestem Gästezimmer, säuberten und nähten Jacks Wunden und wuschen seinen geschundenen Körper. Olivia war so erschöpft, dass sie zitterte. Und Jack hatte soeben die Augen aufgemacht, auch wenn es nur für einen winzigen Moment gewesen war.
Sergeant Harper legte Nadel und Faden beiseite und zog Jacks Augenlid hoch. »Entschuldigen Sie, dass ich das so sagen muss, Ma’am«, erklärte er, und seine Stimme klang vor Müdigkeit rau. »Ich habe schon einige Kopfverletzungen wie diese hier gesehen, und der Captain wird seine Augen in den nächsten Tagen sicher noch ein paarmal öffnen und wieder schließen, ehe wir wissen, ob sie offen bleiben werden. Und im Moment spürt er nichts. Jedenfalls wird er sich später nicht daran erinnern.«
Olivia kämpfte gegen die Tränen der Erschöpfung an. »Sind Sie sich sicher?«
Sergeant Harper hatte ihre Tränen offenbar bemerkt und tätschelte ihre Schulter mit seiner großen schwieligen Hand. »Sie sollten wirklich ein bisschen schlafen, Ma’am. Ich komme hier schon zurecht. Ganz sicher.«
Olivia brachte ein steifes Lächeln zustande und schob sich die Haare aus der Stirn. Diese furchtbare Nacht würde sie für den Rest ihres Lebens nicht vergessen. Fünf Stunden lang waren sie auf der albtraumhaften Straße nach Brüssel unterwegs gewesen. Drei Verwundete hatten sie mit nach Hause genommen, unter ihnen Jack. Olivia war sich noch immer nicht sicher, wie es hatte passieren können. Sie wollte ihn eigentlich mit Chambers zusammen ins Lazarett bringen. Aber Chambers war verschwunden, und Jack lag nun in Lady Kates zweitbestem Gästezimmer.
»Keine Sorge, Sergeant«, sagte sie zu Graces Beschützer, »ich werde Sie nicht im Stich lassen.«
»Das haben Sie bisher auch noch nicht, Ma’am«, entgegnete er und machte sich wieder an die Arbeit.
Sie hatte nicht den Mut, irgendjemandem zu sagen, wer Jack war. Nicht, ehe sie nicht mit der Duchess gesprochen hatte. Doch sie tat nicht länger so, als würde sie ihn
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