Unverhofft kommt oft
Heute war Roberta allerdings nicht mehr so lustig drauf, ganz im Gegenteil, sie schien ihre Arbeit und auch alles andere sehr ernst zu nehmen.
„Du meine Güte, lass mir doch meinen Spaß!“, konterte Sofia.
Roberta sah sie streng an. „Der Unterschied zwischen einem Muffin und einem Cupcake ist, dass auf dem Cupcake eine Sahne-oder Cremehaube ist.“
„Das ist mir schon klar, Cousinchen, ich bin doch nicht blöd.“
„So sahst du aber eben noch aus, tut mir leid, wenn ich das so sagen muss.“ Mit diesen Worten wandte sich Roberta an den nächsten Kunden. Sofia äffte sie leise nach und streckte ihr dann hinter vorgehaltener Hand die Zunge aus, ehe sie ebenfalls den Nächsten bediente.
♥
Gegen Mittag sagte sie Roberta, sie nehme jetzt ihre Pause, goss sich Kaffee in einen der Pappbecher, die in hohen Stapeln hinter dem Tresen aufgetürmt waren, und ging zu ihrer Mutter in die Backstube.
„Hi, Mamma. Wie läuft`s hier hinten?“
„Was tust du denn hier, Sofia? Es ist Mittagszeit, da vorne muss die Hölle los sein.“
„Ach, Roberta schafft das für ein paar Minuten alleine.“
Ihre Mutter hielt beim Teigkneten inne und schenkte ihr denselben Blick, mit dem sie sie als Kind immer bedacht hatte, wenn sie wieder einmal Märchen erzählte oder Aprikosen vom Obststand an der Ecke geklaut hatte.
„Sie schafft das.“
„Sie macht das normalerweise mit deinem Vater zusammen. Du hast dich bereit erklärt, für ihn einzuspringen, solange er im Krankenhaus ist. Und sehr wahrscheinlich auch noch eine ganze Weile danach. Also musst du auch seine Aufgaben übernehmen.“
„Na, bereit erklärt ist wohl ein wenig weit hergeholt. Gezwungen hast du mich!“
„Dich kann niemand zu irgendwas zwingen, Sofia, und das weißt du genau. Du bist aus freien Stücken hier, versuche doch einfach mal, etwas Verantwortung zu übernehmen.“
Sofia nahm die Blicke von Alessia und Guido wahr, die etwas betreten dastanden und versuchten, die Unterhaltung zwischen Mutter und Tochter zu überhören.
„Ist ja schon gut! Ich gehe wieder nach vorne“, sagte Sofia genervt. „Ach, und übrigens, der Kaffee schmeckt langweilig. Ihr solltet dringend mal darüber nachdenken, Latte Macchiato anzubieten. Mit verschiedenen Geschmacksrichtungen.“
„Schlag das bloß nicht deinem Vater vor, sonst bekommt er gleich noch einen Herzinfarkt“, sagte Mutter Carla und warf ein Handtuch nach ihrer Tochter.
Sofia hatte die Streitigkeit von vor einer Minute bereits abgetan und tänzelte wieder nach vorn, wobei Tom, der gerade den Hintereingang hereinkam, sie streifte.
„Hi, Tom.“
„Hi, Sofia“, erwiderte er.
Es war kein Geheimnis, dass er sie nicht mochte. Oder vielleicht auch ein wenig zu sehr mochte. Vor fünf Jahren war er hoffnungslos in sie verknallt gewesen, hatte sie zum Abschlussball der Highschool eingeladen, doch sie hatte ihn nur ausgelacht. Daraufhin hatte er sich mit der Zweitbesten zufriedengegeben – ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Alessia. Die beiden hatten im letzten Jahr geheiratet und Alessia war im siebten Monat schwanger. Sofia hingegen war in Sachen Liebe ebenso flatterhaft wie in Sachen Beruf oder Klamotten. Sie tobte sich aus, machte das, was ihr gefiel, zwar darauf bedacht, niemanden dabei zu verletzen, doch immer mit der Aussicht auf Spaß.
Als sie wieder nach vorne in den Laden kam, jonglierte Roberta gerade mit zwei Kaffeebechern, wobei Sofia einfiel, dass sie ihren in der Backstube vergessen und kaum zwei Schlucke getrunken hatte.
„Hier bin ich wieder“, verkündete sie und sackte gleich einen weiteren bösen Blick von Roberta ein, einen, der sie am liebsten verflucht und in ein warzenübersätes Schwein verwandelt hätte.
„Sorry, kommt nicht wieder vor, ich muss mich hier erst mal eingewöhnen. Wow, wo kommen denn die ganzen Leute her?“
„So sieht es hier jeden Tag zwischen zwölf Uhr mittags und vier Uhr nachmittags aus. Die Leute haben Mittagspause und kommen her, und nachmittags zur Kaffeezeit sind die Tische IMMER alle besetzt.“
Zum Glück ist hier Selbstbedienung , dachte sie. Obwohl vielleicht die ein oder andere zusätzliche Kraft nicht verkehrt wäre. Ich sollte eine Liste machen und sie Papà zeigen, wenn ich ihn im Krankenhaus besuchen gehe. Obwohl ich nicht weiß, wann ich dazu überhaupt die Zeit finden soll.
Gestern, nach dem Anruf ihrer Mutter, war sie sofort ins Krankenhaus geeilt. Es war Gott sei Dank nur ein kleiner Infarkt gewesen, ihr
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