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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Fräulein: »Asta, du bist wie ein junges Füllen, und ich sehe zu meinem Schrecken, daß dir die Schulstunden fehlen. Und was du da nur sprichst, als ob gesellschaftlich ein Unterschied zwischen einem Manne wie Brödstedt und einem Manne wie Strehlke wäre.«
    »Gewiß ist ein Unterschied. Das heißt nicht für mich, für mich ganz gewiß nicht, das kann ich beteuern. Aber für andere ist ein Unterschied. Sieh dich doch nur um. Ich für mein Teil habe noch nie von einer Heirat zwischen einem Dampfschiffskapitän und einer Comtesse gehört; aber soll ich dir an meinen zehn Fingern all die Hauslehrer und Kandidaten aufzählen, die hier herum...«
    »Es ist schon das beste, Asta, wir verzichten auf alle Vergleiche.«
    »Mir recht«, lachte diese. »Aber eine Leuchtturmstochter sein und von einem Manne wie Kapitän Brödstedt von einem Leuchtturm heruntergeholt zu werden, das ist doch hübsch und eigentlich ein leibhaftiges Märchen. Und alles, was Märchen ist, ist meine Schwärmerei, meine Passion, und die Geschichte ›vom tapfern Zinnsoldaten‹ ist mir viel, viel lieber als der ganze Siebenjährige Krieg!« Und bei diesen Worten erhob sie sich wieder von ihrer Fußbank und ließ die beiden Damen allein, um sich nebenan an den Flügel zu setzen. Gleich danach hörte man denn auch eine Chopinsche Etüde, freilich nicht recht flüssig und mit vielen Fehlern.
    »Wie kam Asta nur zu solcher Bemerkung? Ist es bloß Übermut oder was sonst? Was führt sie in ihrem Gemüt so sonderbare Wege?«
    »Nichts, was dich ängstigen könnte«, sagte die Dobschütz. »Wär es das, so würde sie zu schweigen wissen. Ich lebe mehr mit ihr als du und bürge dir für ihren guten Sinn. Asta hat einen lebhaften Geist und eine lebhafte Phantasie...«
    »Was immer eine Gefahr ist...«
    »Ja. Aber oft auch ein Segen. Eine lebhafte Phantasie schiebt auch Bilder vor das Häßliche und ist dann wie ein Schutz und Schirm.«
    Die Gräfin schwieg und blickte vor sich hin, und als sie nach einiger Zeit wieder auf das Meer hinaussah, sah sie von dem Dampfer nur noch den immer blasser werdenden Rauch, der wie ein Strich am Horizonte hinzog. Sie schien allerhand Gedanken nachzuhängen, und als die Dobschütz, von der Seite her, einen flüchtigen Blick auf die Freundin richtete, sah sie, daß eine Träne in deren Auge stand.
    »Was ist, Christine?« sagte sie.
    »Nichts.«
    »Und doch bist du so bewegt...«
    »Nichts«, wiederholte die Gräfin. »Oder wenigstens nichts Bestimmtes. Aber es quält mich eine unbestimmte Angst, und wenn ich nicht das Wahrsagen und Träumedeuten von Grund meiner Seele verabscheute, weil ich es für gottlos und auch für eine Quelle der Trübsal halte, so müßt ich dir von einem Traum erzählen, den ich diese letzte Nacht gehabt habe. Und war nicht einmal ein schrecklicher Traum, bloß ein trüber und schwermütiger. Ein Trauerzug war es, nur ich und du, und in der Ferne Holk. Und mit einem Male war es ein Hochzeitszug, in dem ich ging, und dann war es wieder ein Trauerzug. Ich kann das Bild nicht loswerden. Dabei das Sonderbare, solange der Traum dauerte, hab ich mich nicht geängstigt, und erst als ich wach wurde, kam die Angst. Und deshalb beunruhigte mich auch das, was Asta sagte. Noch gestern hätte mich's bloß erheitert, denn ich kenne das Kind und weiß, daß sie ganz so ist, wie du sagst... Und dann, offen gestanden, auch diese Reise ängstigt mich. Sieh, jetzt ist die Rauchfahne verschwunden...«
    »Aber, Christine, das wirst du doch von dir abtun; das ist ja wie sich fürchten, daß man vom Stuhl fällt oder daß die Decke einstürzt. Es stürzen Decken ein und Häuser auch, und es scheitern auch Schiffe, die zwischen Glücksburg und Kopenhagen fahren, aber, Gott sei Dank, doch bloß alle hundert Jahr einmal...«
    »Und einen trifft es dann, und wer will sagen, wer dieser eine ist. Aber das ist es nicht, Julie... Ich denke nicht an ein Unglück unterwegs... Es sind ganz andere Dinge, die mich ängstigen. Ich freute mich, wie du weißt, auf diese stillen Tage, die zugleich geschäftige Tage werden sollten, und seit heute früh freue ich mich nicht mehr darauf.«
    »Bist du wegen der Kinder anderen Sinnes geworden?«
    »Nein. Es bleibt bei dem längst zwischen uns Besprochenen, und nur wegen Axel schwankt es noch mit dem Wohin. Aber auch das wird sich unschwer regeln. Nein, Julie, was mich in meinem Gemüte seit heute früh beschäftigt, ist einfach das: ich durfte Holk nicht reisen lassen oder doch nicht allein.

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