Unzaehmbares Verlangen
gewesen, mir so eine Situation auszumalen. Damit will ich nicht sagen, daß ich es dann auch getan hätte. Es ist ja ziemlich.. .« Letty verhaspelte sich.
»Gewagt?« schlug Joel hilfreich vor.
»Ja«, stimmte Letty erleichtert zu. »Wie bereits gesagt -ich denke, ich hätte es mir zumindest vorstellen können, wenn unsere Beziehung leidenschaftlicher gewesen wäre. Glauben Sie das nicht auch?«
Joel versuchte vergeblich, das Bild aus seinem Kopf zu verdrängen. »Ja, natürlich.« Verdammt, jetzt würde er noch, eine Runde rennen müssen, um zur Ruhe zu kommen.
»Vor kurzem habe ich erkannt, daß ich mit Leidenschaft in meinem bisherigen Leben nicht konfrontiert wurde«, fuhr Letty ernsthaft fort. »Und zwar in jedem Bereich meines Lebens: in meiner Karriere, in meiner Vergangenheit -und voraussichtlich auch in meiner Zukunft. Ich befinde mich in einer Sackgasse, aus der ich heraus will.«
»Das verstehe ich.«
»Seit einiger Zeit fühle ich mich, als würde ich neben mir stehen. Normalerweise habe ich immer ein Ziel vor Augen, aber im Moment empfinde ich nur den starken Wunsch, mein Leben neu einzurichten. Großonkel Charlie hat mir eine Chance dazu gegeben. Thornquist Gear wird mein Leben von Grund auf verändern.«
Joel wußte nicht, was er lieber getan hätte: mit Letty das zu machen, was Philip mit seiner Studentin angestellt hatte, oder ihr den Hals umzudrehen. Thornquist Gear gehörte ihm!
»Haben Sie sich das gut überlegt, Letty? Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen die Idee gefällt, Chefin einer großen Firma zu sein, aber so leicht ist das nicht. Sie haben keine Erfahrung im Einzelhandel, und schon gar nicht mit Sportartikeln. Wahrscheinlich waren Sie noch nicht einmal beim Camping.«
Letty hob die Augenbrauen. »Na und?«
»Campingzubehör gehört zu unseren Hauptprodukten. Im letzten Jahr haben wir Zelte im Wert von über eineinhalb Millionen verkauft.«
Letty sah ihn erstaunt an. »Ich verstehe nicht ganz, warum ich ein Experte sein muß, um ein bestimmtes Produkt zu verkaufen. Mich interessiert das Management der Firma. Ich will das Unternehmen weiterentwickeln und nicht mein eigenes Zelt aufbauen.«
Joel hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Sie wissen nicht, worauf Sie sich einlassen, Miß Thornquist. Eine aufstrebende Firma zu leiten, ist kein Spiel. Und es ist auch kein Ausweg, um über eine geplatzte Verlobung hinwegzukommen.«
Letty preßte die Lippen zusammen. »Ich bin mir absolut, bewußt, worauf ich mich einlasse, und ich bin bereit, alles zu tun, um so rasch wie möglich zu lernen, was nötig ist, um Erfolg zu haben. Glauben Sie mir - ich lerne sehr schnell.«
»Denken Sie denn wirklich, Sie könnten sich einfach auf den Chefstuhl setzen und alle Entscheidungen treffen? Glauben Sie, Sie hätten dafür eine natürliche Begabung?«
»Natürlich nicht.« Letty lächelte. »Ich habe Ihnen bereits erzählt, daß ich nicht unvorbereitet an die Sache herangehe.«
»Ja, ich weiß - Sie haben einige Artikel gelesen.«
»Wie Sie wissen, bin ich Bibliothekarin.«
»Erinnern Sie mich nicht daran.«
»Es besteht kein Grund, sich so aufzuregen«, sagte sie beschwichtigend. »Sie sind viel zu angespannt. Ich habe einige Artikel über Frauen im Geschäftsleben gelesen, und alle weisen auf einen entscheidenden Punkt hin.«
»Was, zum Teufel, meinen Sie damit?« fragte er ungehalten.
»Ich brauche einen Mentor.«
»Einen Mentor?« fragte er verblüfft. »Was reden Sie da?«
»Ich meine einen Mentor, einen Lehrer. Jemanden, der mir zeigt, wo es langgeht. Die meisten erfolgreichen Menschen in der Geschäftswelt haben es nur mit Hilfe eines Mentors geschafft, der sie angeleitet und vorangebracht hat.«
»Ich hatte nie einen Mentor«, entgegnete Joel barsch.
»Aber natürlich - Großonkel Charlie. Sie haben ihn nur nie als solchen angesehen, weil Ihnen der Ausdruck fremd war.«
»Unsinn. Glauben Sie wirklich, Charlie wäre mein Mentor gewesen?« Joel ballte eine Hand zur Faust. »Hören Sie gut zu, Miß. Vor zehn Jahren bewarb ich mich bei Charlie Thornquist wegen eines Jobs. Er stellte mich ein. Ich sollte mich um sein kleines Geschäft in der First Avenue in Seattle kümmern, damit er mehr Zeit hätte, zum Fischen zu gehen. Er zeigte mir, wie die Kasse funktionierte und welche Türen ich abends abschließen mußte. Dann verschwand er für. zwei Wochen aus der Stadt.«
Letty sah ihn interessiert an. »Wirklich? Und was geschah dann?«
»Als er zurückkam, erklärte ich ihm, wir
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