Unzaehmbares Verlangen
sollten viel mehr verschiedene Schlafsäcke auf Lager haben. Er war einverstanden und reiste sofort wieder ab - zum Hochseefischen. Ich sah ihn erst nach vier Wochen wieder.«
»Und wie ging es weiter?«
»Als er sich beim nächsten Mal blicken ließ, sagte ich ihm, die neuen Zelte würden sich sehr gut verkaufen, und schlug ihm vor, Skiausrüstungen zum Verleih anzubieten. Er meinte, ich solle tun, was ich für richtig hielte. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, und so machte ich Thornquist Gear zu dem, was es heute ist.«
Letty lächelte erfreut. »Sie sind eindeutig der richtige Mentor für mich.«
»Ich? Ihr Mentor? Machen Sie Witze?« Er hatte gute Lust, Letty an ihren schlanken Fesseln zu packen und Kopf nach unten über das Geländer baumeln zu lassen. Bevor er ihr erklärte, wie seine Firma funktionierte, sollte ihn lieber der Teufel holen.
»Ich glaube, wir könnten eine perfekte Partnerschaft eingehen, Joel.«
»Ich werde jetzt duschen und dann ins Bett gehen.« Joel drehte sich um und stakste hinaus. In seinem Schlafzimmer wurde ihm klar, daß er heute nacht kein Auge zutun würde.
Als Letty am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich so gut wie schon lange nicht mehr. Sie blieb eine Weile still liegen, sah aus dem Fenster und beobachtete, wie die Sonne aufging.
Eigentlich kaum zu fassen, daß sie vergangene Nacht ein so intimes Gespräch mit Joel Blackstone geführt hatte. Trotzdem war sie froh darüber. Was sie ihm anvertraut hatte, war schließlich nur die Wahrheit gewesen.
Ihr war plötzlich klar, daß sie in Seattle finden würde, was ihr bisher in ihrem Leben gefehlt hatte. Sie freute sich darauf, Thornquist Gear zu übernehmen.
Letty sprang aus dem Bett und lief in das weiß gekachelte Badezimmer. Ihre Laune war so gut, daß sie beschloß, sogar Stephanie gegenüber etwas toleranter zu sein.
Natürlich blieb ihr sowieso nichts anderes übrig. Immer-hin würde sie bald einen kleinen Bruder bekommen - egal, ob sie damit einverstanden war oder nicht.
Matthew Christopher. Irgendwie war es seltsam, den Namen und das Geschlecht des Babys zu wissen, noch bevor es auf der Welt war. Stephanie hatte ihr erklärt, daß sie sich wegen ihres Alters einigen Tests habe unterziehen müssen. Dabei wurde festgestellt, daß das Kind gesund sei und ein Junge war. Stephanie und Morgan waren begeistert.
Letty konnte sich zwar weder Stephanie noch Morgan beim Windelwechseln vorstellen, war sich aber darüber im klaren, daß dies bald Realität sein würde.
Abgesehen davon war es ihr im Moment viel wichtiger, ihr eigenes Leben neu zu organisieren.
Wenige Minuten später hatte sie sich eine sorgfältig gebügelte graue Tweedhose und eine blaßgelbe Bluse übergestreift und war in bequeme Slipper geschlüpft. Sie ging die Treppe hinunter, öffnete die Küchentür und blinzelte einige Sekunden, um sich an das Sonnenlicht zu gewöhnen, das die weißen Fliesen und die blitzende Chromspüle zurückwarfen.
»Guten Morgen«, murmelte Joel mißmutig.
Letty runzelte besorgt die Stirn, als sie bemerkte, wie abgespannt er aussah. »Sie haben wohl nicht gut geschlafen?«
»Ich werde es überleben.« Joel klammerte sich an seiner Kaffeetasse fest als hätte er Angst, man könnte sie ihm stehlen. Seine Augen funkelten, und er sah Letty so scharf an, als wäre sie ein außergewöhnliches Insekt.
Als Letty sich an die vertraulichen Dinge erinnerte, die sie ihm in der vergangenen Nacht erzählt hatte, stieg ihr die Röte ins Gesicht. »Sie sollten wirklich versuchen herauszufinden, warum Sie an Schlaflosigkeit leiden.«
»Ich weiß zumindest genau, warum ich letzte Nacht nicht schlafen konnte.«
»Oh ...«
Glücklicherweise kam Stephanie in diesem Moment in einem schwarz-weißen Umstandskleid in die Küche. Sie sah wie immer frisch und gepflegt aus, und ihr Make-up war tadellos.
»Guten Morgen.« Sie hob die Augenbrauen. »Ich sehe, Sie haben die Kaffeemaschine gefunden, Joel. Normalerweise mache ich den Kaffee, aber das haben Sie anscheinend schon für mich erledigt. Bitte bediene dich, Letty.«
»Danke.« Letty nahm sich eine Tasse und schenkte sich ein. Ihr war klar, daß Stephanie ein wenig irritiert war, weil Joel es gewagt hatte, in ihre Küche einzudringen. Verzweifelt suchte sie nach den richtigen Worten, aber es war ihr schon immer schwergefallen, sich mit Stephanie zu unterhalten. Manchmal hatte sie das Gefühl, ihre Stiefmutter käme von einem anderen Stern - sie hatten einfach nichts gemeinsam.
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