Unzaehmbares Verlangen
»Möchtest du auch eine Tasse Kaffee, Stephanie?«
»Auf keinen Fall«, erklärte Stephanie bestimmt. »Während meiner Schwangerschaft nehme ich kein Koffein zu mir. Ich trinke Fruchtsaft.«
»Ja, natürlich«, erwiderte Letty leise. Sie kam sich wie ein Idiot vor, weil sie nicht daran gedacht hatte. Aus dem Augenwinkel sah sie, daß Joel sie hämisch musterte. Ohne ihn zu beachten, nahm sie einen Schluck von dem Kaffee und verzog unwillkürlich das Gesicht.
»Stimmt was nicht?« fragte Joel.
»Der Kaffee schmeckt so - angebrannt. Soll ich frischen aufsetzen?«
»Das mache ich, wenn es notwendig ist«, erwiderte Stephanie rasch.
»Er ist nicht angebrannt«, erklärte Joel. »Aber er ist scharf geröstet. Letty ist an diesen Geschmack wohl nicht gewöhnt, aber wir mögen den Kaffee hier so, nicht wahr, Stephanie?«
»Das stimmt.« Stephanie lächelte herablassend. »Du wirst dich schon noch daran gewöhnen, Letty.«
In diesem Moment erschien Morgan. »Guten Morgen allerseits.«
Alle murmelten einen Gruß. Stephanie machte sich, daran, rasch und geschickt das Frühstück zuzubereiten. Letty fragte sich gerade, ob sie ihr wenigstens gestatten würde, den Tisch zu decken, als plötzlich das Telefon klingelte.
Stephanie schloß die Kühlschranktür und nahm den Hörer ab. »Hallo?« Sie lauschte kurz und sah dann Letty an. »Ja, sie ist hier. Einen Moment, bitte.«
»Wer ist das?« fragte Letty beunruhigt.
»Ein gewisser Philip Dixon«, erwiderte Stephanie leise und hielt Letty den Hörer hin.
Letty wich einen Schritt zurück und streckte abwehrend die Arme aus. »Sag ihm, daß ich nicht hier bin«, flüsterte sie. »Bitte sag ihm, ich wäre spazierengegangen. Ich möchte nicht mit ihm sprechen.«
»Lassen Sie mich das erledigen.« Joel stand auf und nahm Stephanie den Hörer aus der Hand. »Hier spricht Joel Blackstone. Ich bin Miß Thornquists Geschäftsführer. Was kann ich für Sie tun, Mr. Dixon?«
Letty starrte ihn verblüfft an. Auch Stephanie und Morgan schwiegen überrascht.
»Nein, tut mir leid, das ist nicht möglich. Ich bin sicher, Sie verstehen, daß Miß Thornquist in ihrer jetzigen Stellung auf ihre Reputation achten muß. Als Chefin von Thornquist Gear kann sie es sich nicht leisten, mit einem Idioten zu telefonieren, der dumm genug war, sich dabei erwischen zu lassen, wie er sich von einer ehrgeizigen Studentin einen runterholen ließ.«
Joel knallte den Hörer auf die Gabel, ohne auf Antwort zu warten, und setzte sich wieder an den Tisch. Anscheinend unbekümmert nahm er einen Schluck aus seiner Tasse.
Letty faßte sich als erste und räusperte sich verlegen. »Idiot? Runterholen? Könnte man das nicht auch anders ausdrücken?«
»Sie wollten mich doch als Mentor haben«, meinte Joel leise. »Das bedeutet, ich bin der Lehrer und Sie die Schülerin, nicht wahr?«
»Nun ja, das stimmt wohl.«
»Dann hören Sie mir gut zu, denn ich werde alles nur einmal sagen. Dies war die erste Lektion. Sie heißt: Wie vermeide ich unerwünschte Telefonate.«
»Ich glaube, ich sollte mir Notizen machen«, murmelte Letty.
3
»Entschuldige bitte«, sagte Letty, als sie das Wohnzimmer betrat. »Ich wollte dich nicht stören.«
Stephanie saß mit überkreuzten Beinen auf dem Boden, hatte die Hände auf die Knie gelegt und meditierte in der Nachmittagssonne, die durch die Fenster schien.
»Das ist schon in Ordnung - ich bin gerade fertig. Ich meditiere jeden Nachmittag eine halbe Stunde lang. Matthew Christopher beruhigt das sehr.«
»Verstehe.« Letty zermarterte sich den Kopf, wie sie die Unterhaltung weiterführen könnte. Joel war am frühen Morgen nach Seattle abgereist, und seitdem fühlte sie sich rastlos. »Wie geht's dir denn?«
»Sehr gut, vielen Dank.« Stephanie nahm die Frage anscheinend wörtlich. »Letzte Woche war ich bei meiner Ärztin - ich lasse mich jeden Monat gründlich untersuchen. Sie meinte, alles würde sich normal entwickeln.«
»Das zu hören ist bestimmt sehr beruhigend.«
Stephanie nickte ernst. »Sie ist eine hervorragende Ärztin. Eine der besten Geburtshelferinnen in diesem Staat. Natürlich hat sie zwei Facharztexamen abgelegt.«
»Natürlich.«
»Sie hat bei mir alle wichtigen Untersuchungen durchgeführt. Ultraschall, einen Alpha-Fetoprotein-Test und eine Amnioskopie. Alles scheint sich völlig normal zu entwickeln.«
»Das freut mich«, sagte Letty.
»Morgan und ich haben uns natürlich die Abteilung für Neugeborene in dem von uns ausgewählten
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