Urban Gothic (German Edition)
ist ihr Gehirn .
Brett zuckte zusammen, als ihm Galle in die Kehle stieg und darin brannte. Er schaute zum Mörder hoch.
Der lachte ein drittes Mal – heiser und grölend.
In jenem Augenblick flüchtete sich Brett in das, wovon er am meisten verstand – Logik. Er betrachtete die Situation als kniffligen Level, als reales Videospiel. Um zu überleben, brauchte er ihn nur zu lösen. Als der Angreifer die blutige Waffe anhob, ging Brett in Gedanken seine Möglichkeiten durch. Dann tat er das, womit das Ungetüm hoffentlich am wenigsten rechnete – er raste unmittelbar daran vorbei und hechtete in das Zimmer, aus dem der Koloss gekommen war. Die menschenähnliche Kreatur schrie auf, eindeutig wutentbrannt.
Obwohl Brett weinte, musste er unwillkürlich lächeln.
Das hast du wohl nicht erwartet, du Pisser, was?
Er rannte weiter und durchquerte den Raum. Vor ihm befand sich eine andere Tür, die tiefer ins Haus hineinführte. Ohne zu zögern, stürmte er weiter in die Dunkelheit. Er verschwendete keinen Gedanken daran, wo er möglicherweise landete.
Die Füße seines Verfolgers stapften hinter ihm her und ließen den Holzboden erzittern.
Irgendwo hinter den Wänden, vermutlich in einem anderen Raum, begann Kerri mit gebrochener, schriller Stimme zu schreien.
Brett wusste haargenau, wie sie sich fühlte.
4
Kerris Welt hatte sich vor ihren Augen in ein Trümmerfeld verwandelt. Tyler war tot. Stephanie war tot.
Scheiße gelaufen ...
Mit Stephanie verband sie seit dem Kindergarten eine enge Freundschaft. Sie hatten von der ersten bis zur siebten Stufe dieselbe Klasse der katholischen St. Mary’s School besucht, waren danach gemeinsam zu einer öffentlichen Schule gewechselt. Sie hatten zusammen gelernt und ihre Kindheit verbracht.
Kerri stockte der Atem, als Javier sie durch die Dunkelheit drängte. Obwohl sich ihre Augen mittlerweile etwas an die Lichtverhältnisse angepasst hatten, lieferte Javiers Handy, das er aufgeklappt ließ, die einzige Beleuchtung. Kerris Hände zitterten zu heftig, um ihr Feuerzeug zu halten. Sie hörte, wie Javiers Atem durch seine Nase pfiff. Kerri versuchte zu sprechen, um ihm zu sagen, er solle langsamer laufen, und um ihn zu fragen, ob er bei der Polizei angerufen hatte, doch die Stimme versagte ihr den Dienst. Sie stolperte noch einige Schritte weiter, dann blieb sie stehen. Schlagartig wurde ihr schwindlig. Hinter ihren Augen baute sich Druck auf.
Sie schloss die Lider und hoffte, dass die Schmerzen verschwanden.
Vielleicht war Steph gar nicht tot. Vielleicht lebte sie noch. Immerhin hatten Javier und sie es auch geschafft, zu fliehen. Eventuell hatte sie sich das, was sie mit anzusehen glaubte, nur eingebildet.
Dann hörte Kerri erneut das Geräusch. Jenes grauenhafte Geräusch, das der Hammerkopf verursacht hatte, als ...
Tyler und Steph ...
Steph und Tyler ...
Beide lebten unbestreitbar nicht mehr. Und Kerri hatte nichts unternommen, um ihnen zu helfen. Stattdessen war sie davongerannt. Wie konnte das sein?
Tyler hatte Kerri die Unschuld genommen. Steph hatte sich danach alle Einzelheiten angehört, genau, wie Kerri es getan hatte, als Steph einige Jahre davor ihre Unschuld unter weniger angenehmen Umständen verlor. Steph war in jeder Hinsicht, die zählte, wie eine Schwester zu ihr gewesen, und nun lebte sie nicht mehr.
Auch mit Tyler verband sie nicht nur eine Beziehung. Er hatte den Mittelpunkt ihres Lebens gebildet. Ja, in letzter Zeit war es manchmal schlecht gelaufen. Sie hatten oft gestritten. Da sie genug von seinem unreifen Verhalten hatte, dachte sie immer öfter darüber nach, ihn zu verlassen. Aber all die Streitigkeiten und all der Ärger – das bewies doch nur, wie sehr sie sich in Wirklichkeit liebten. Man zankte sich nicht mit jemandem, der einem am Arsch vorbeiging. Und nun war er weg. Tot. Er lag auf dem Boden im vorderen Teil des Hauses und seine Leiche wurde kalt, während sich das gerinnende Blut mit dem von Steph vermischte.
Der Druck in ihrem Kopf kochte über. Kerri öffnete die Augen und schrie. Der Laut drang als tiefes, urtümliches, die Kehle zerfetzendes Kreischen hervor, das ewig anzudauern schien ...
... bis Javier ihr die Hand auf den Mund klatschte und fest zudrückte.
»Hör auf«, flüsterte er. »Hör einfach auf.«
Sie wehrte sich dagegen und sein Griff verstärkte sich. Kerri spürte, wie ihr Rotz zwischen seinen Fingern hindurchsickerte. Sie versuchte, zu reden, ihm zu sagen, dass sie zurück zu Tyler und Steph mussten,
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