Urbi et Orbi
stören. Alles konnte warten, bis er seine Unterredung mit Gott beendet hatte.
Seit den frühesten Tagen hatte Michener für Clemens gearbeitet. Der drahtige Deutsche war vom Erzbischof zum Kardinal und schließlich zum Kardinalstaatssekretär aufgestiegen. Micheners Karriere war parallel dazu verlaufen, vom Seminaristen über die Priesterwürde bis zum Monsignore, und als das Kardinalskollegium Jakob Kardinal Volkner zum zweihundertsiebenundsechzigsten Nachfolger auf dem Stuhle Petri wählte, erreichte auch Micheners Laufbahn ihren Höhepunkt. Volkner ernannte ihn gleich nach der Wahl zu seinem Privatsekretär.
Michener kannte Clemens als einen Mann, der in der zutiefst erschütterten deutschen Nachkriegsgesellschaft aufgewachsen war und das diplomatische Handwerk an so schwierigen Orten wie Dublin, Kairo, Cape Town und Warschau gelernt hatte. Jakob Volkner war ein Mann, der ungeheure Geduld und eine unbändige Aufmerksamkeit aufbringen konnte. Nicht ein einziges Mal in ihren gemeinsamen Jahren hatte Michener Zweifel am Glauben oder Charakter seines Mentors gehegt, und wenn er in seinem Leben auch nur halb so viel Format bewiese wie Clemens, wäre er jederzeit bereit, es einen vollen Erfolg zu nennen.
Clemens beendete sein Gebet, bekreuzigte sich und küsste das Pectorale, das Kreuz um seinen Hals, das die Brust seiner weißen Albe verzierte. Seine Andacht war heute kurz gewesen. Der Papst erhob sich vom Betschemel, verweilte aber noch vor dem Altar. Michener stand schweigend in einer Ecke, bis der Pontifex zu ihm trat.
»Ich beabsichtige, Hochwürden Tibor alles Nötige in einem Brief zu erklären. Er wird der päpstlichen Autorität gehorchen und Ihnen bestimmte Informationen übergeben.«
Noch immer keine Erklärung, warum die Reise nach Rumänien nötig war. »Wann soll ich abreisen?«
»Morgen. Spätestens übermorgen.«
»Ich weiß nicht, ob das wirklich gut ist. Kann nicht ein Legat diese Aufgabe übernehmen?«
»Ich versichere Ihnen, Colin, dass ich bestimmt nicht während Ihrer Abwesenheit sterbe. Ich fühle mich weit besser, als ich aussehe.«
Dasselbe hatten auch Clemens ’ Ärzte vor weniger als einer Woche bestätigt. Nach einer Serie von Tests war man zu dem Ergebnis gekommen, die Gesundheit des Papstes sei nicht angegriffen. Unter vier Augen hatte der Leibarzt des Oberhirten jedoch darauf hingewiesen, dass psychischer Stress Clemens ’ gefährlichster Feind sei. Die rapide Verschlechterung seine s B efindens in den letzten Monaten schien Beweis genug, dass irgendetwas an seiner Seele nagte.
»Ich hatte gar nicht gesagt, dass Sie schlecht aussehen, Euer Heiligkeit. «
»Das war auch nicht nötig. Die Augen sind das Fenster der Seele. Und in den Ihren kann ich sehr gut lesen.«
Michener hielt den Zettel mit seiner Notiz hoch. »Warum wollen Sie diesen Priester kontaktieren?«
»Das hätte ich schon nach meinem ersten Besuch in der Riserva tun sollen. Aber ich habe mich dagegen gewehrt. « Clemens stockte. »Jetzt kann ich mich nicht länger wehren.«
»Warum sieht sich das Oberhaupt der Heiligen Katholischen Kirche ohne Alternative?«
Der Papst entfernte sich und betrachtete ein Kruzifix an der Wand. Zu beiden Seiten des Marmoraltars brannten zwei mächtige Kerzen.
»Gehen Sie heute Vormittag zur Verhandlung des Pönitentiarie?«, fragte Clemens, den Rücken zu Michener gekehrt.
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Das Oberhaupt der Heiligen Katholischen Kirche entscheidet selbst, welche Fragen es beantwortet.«
»Meines Wissens hatten Sie mir Anweisung erteilt, der Verhandlung beizuwohnen. Also, ja. Ich gehe hin. Und geselle mich zu einem Saal voller Reporter. «
»Wird sie auch da sein?«
Michener wusste genau, von wem der alte Mann sprach . » Wie ich hörte, hat sie die Akkreditierung als Presseberichterstatterin beantragt. «
»Wissen Sie, warum sie sich für die Verhandlung interessiert?«
Er schüttelte den Kopf. »Wie bereits gesagt, habe ich nur zufällig von ihrem Kommen erfahren. «
Clemens drehte sich um und sah ihn an. »Was für ein glücklicher Zufall.«
Michener fragte sich, warum der Papst sich dafür interessierte.
»Es ist gut, dass sie Ihnen nicht gleichgültig ist, Colin. Sie ist ein Teil Ihrer Vergangenheit. Ein Teil, den Sie niemals vergessen sollten.«
Clemens kannte die ganze Geschichte nur, weil Michener damals einen Beichtvater gebraucht hatte und der Erzbischof von Köln ihm von allen Menschen am nächsten stand. In dem Vierteljahrhundert
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