Urbi et Orbi
Kardinal Valendrea gerade. Seine tiefe Stimme trug auch ohne Mikrofon im ganzen Saal.
»Mir dagegen, Eminenz«, entgegnete Kealy, »will scheinen, dass vor allem der heimliche Häretiker gefährlich ist. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube. Vielmehr erscheint mir die offene Diskussion gesund für die Kirche. «
Valendrea hielt drei Bücher hoch. Michener erkannte die Umschläge: Es waren Kealys Bücher. »Das hier ist Häresie. Eine andere Sichtweise gibt es nicht.«
»Weil ich die Priesterehe befürworte? Oder die Priesterweihe für Frauen? Weil ich der Meinung bin, dass ein Priester wie andere fromme Menschen seine Frau, seine Kinder und Gott gleichzeitig lieben kann? Weil ich den Papst nicht für unfehlbar halte? Er ist ein Mensch und kann irren. Ist das Häresie?«
»Das dürfte kein Mitglied dieses Gerichtshofs anders sehen.«
So war es.
Michener sah zu, wie Valendrea sich in seinem Stuhl zurechtrückte. Der Kardinal war klein und untersetzt. Fransig zerzaustes Haar kringelte sich in seiner Stirn, was durch den Kontrast zu seiner olivbraunen Haut besonders auffiel. Mit seinen sechzig Jahren war Valendrea relativ jung in der von weit älteren Männern dominierten Kurie. Er hatte auch keineswegs die Gesetztheit, die Außenseiter bei einem hohen kirchlichen Würdenträger vermuteten. Er rauchte fast zwei Päckchen Zigaretten am Tag, besaß einen beneidenswert gut bestückten Weinkeller und bewegte sich regelmäßig in den politisch rechts stehenden Kreisen Europas. Seine Familie wa r m it Reichtum gesegnet, und als ihrem ältesten Angehörigen in väterlicher Linie entfiel ein großer Teil davon auf ihn.
Die Presse stufte Valendrea schon seit langem als papabile ein, was bedeutete, dass man ihn aufgrund seines Alters, seines Ranges und seines Einflusses als ernst zu nehmenden Kandidaten für die nächste Papstwahl ansah. Michener hatte gerüchteweise gehört, dass Valendrea versuchte, sich für das nächste Konklave in Position zu bringen, indem er mit Unentschiedenen verhandelte und potenzielle Gegner einschüchterte. Clemens war gezwungen gewesen, ihn zum Kardinalstaatssekretär zu ernennen, was ihn zum einflussreichsten Mann nach dem Papst machte. Er hatte darin dem Drängen einer bedeutenden Gruppe von Kardinälen nachgegeben, da er klug genug war, denen entgegenzukommen, die ihn an die Macht gebracht hatten. Außerdem folgte er, wie er damals erklärte, der Devise, dass man seinen Freunden nahe, seinen Feinden jedoch noch näher sein solle.
Valendrea legte die Arme auf den Tisch. Vor ihm lag kein einziges Blatt Papier. Er war als ein Mann bekannt, der kaum je einen Blick in die Unterlagen brauchte. »Father Kealy, viele Vertreter der Kirche sind der Ansicht, dass man das Zweite Vatikanische Konzil nicht als Erfolg beurteilen kann, und Sie sind ein hervorragendes Beispiel für diesen Fehlschlag. Ein Geistlicher hat nicht das Recht auf freie Meinungsäußerung. In dieser Welt gibt es zu viele Meinungen, um eine offene Debatte zuzulassen. Die Kirche muss mit einer einzigen Stimme sprechen, nämlich der Stimme des Heiligen Vaters. «
»Heute sind allerdings auch viele kirchliche Amtsträger der Überzeugung, dass der Zölibat und die Doktrin der päpstlichen Unfehlbarkeit überholte Dogmen sind, Irrtümer aus einer Zeit des Analphabetismus und kirchlicher Korruption.«
»Da muss ich Ihnen widersprechen. Doch selbst falls e s s olche höheren Würdenträger geben sollte, behalten diese ihre Meinung für sich.«
»Die Angst schließt so manchem den Mund, Euer Eminenz. «
»Keiner hat etwas zu befürchten.«
»Da möchte ich von diesem meinem Platz hier meinen Widerspruch anmelden.«
»Die Kirche bestraft ihre Priester nicht für Gedanken, sondern nur für Handlungen. Solche wie die Ihren. Ihre Organisation ist eine Beleidigung der Kirche, der Sie dienen.«
»Läge mir meine Kirche nicht am Herzen, Eminenz, hätte ich einfach stillschweigend den Dienst quittiert. Doch ich liebe die Kirche genug, um ihrer Politik entgegenzutreten.«
»Haben Sie wirklich geglaubt, die Kirche würde tatenlos zusehen, wie Sie Ihr Gelübde brechen, sich öffentlich zu einer sexuellen Beziehung bekennen und sich dann selbst von dieser Sünde freisprechen?« Valendrea hielt erneut die drei Bücher hoch. »Und dann haben Sie auch noch darüber geschrieben. Sie haben die Kirche bewusst herausgefordert.«
»Glauben Sie wirklich, dass alle Priester im Zölibat leben?«, fragte Kealy.
Diese Frage erregte Micheners
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