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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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verstand ich nichts mehr.
     Genauso wenig wie bei meiner Heimkehr Ende November 1989, als ich sah, wie Karawanen von DDR-Bürgern morgens in den Westen
     pilgerten und abends, mit Südfrüchten und Stereoanlagen bepackt, zurückkamen.
    Man hatte sich in der Zwischenzeit, in der ich in der Sowjetunion den neuen Sozialismus suchte, so begriff ich später, die
     Freiheit erkämpft, anstatt in der Mangelwirtschaft anzustehen, nun die Extras kaufen zu können. Die Konsumgemeinschaft war
     die erste und wohl auch komplikationsloseste Vereinigung zwischen Ost und West, denn wir hatten nun die Freiheit, alles kaufen
     zu können. Und die BRD-Versicherungsgesellschaften, Supermarktketten und Markenfirmen hatten die Freiheit, alles verkaufen
     zu können, denn über Nacht bekamen sie einen Markt mit 17 Millionen Kunden geschenkt (einen Markt, an dem sie, ohne einen
     Pfennig Werbekosten bezahlen zu müssen, Milliarden verdienten). Als wir gemeinsam mit dem Weißen Riesen wuschen, bei McDonald’s
     Hamburger genießen konnten, Mantas fuhren und allianzversichert waren, probierten wir auch die zweite Stufe der Vereinigung:
     die Kennenlerngemeinschaft. Wir wollten die 40 Jahre lang gepflegten Vorurteile und verordneten Klassenkampfklischees überwinden.
     Und beim ersten Ost-West-Schriftstellertreffen nach der Wende schlugen wir auf der Insel Hiddensee vor: »Erzählen wir uns
     zum Kennenlernen doch einfach unsere unterschiedlichen Lebensgeschichten.« Noch vor der staatlichen Vereinigung »paarten«
     sich jeweils ein ostdeutscher und ein westdeutscher Autor, um im »anderen Land« ein gemeinsames Thema zu erkunden. Also ein
     ostdeutscher Autor recherchierte als Kulissenschieber in einem westdeutschen Theater und ein BRD-Autor als Kulissenschieber
     in einem DDR-Theater. Du hattest die Idee, dass wir für dieses Gemeinschaftsbuch (Ich habe mein einziges Exemplar damals verborgt
     und nicht wiederbekommen,weiß nicht einmal mehr den Titel, aber vielleicht hast Du noch eins?), Du hattest die Idee, über die Jagd, Du im Osten und
     ich im Westen, zu schreiben.
    Ich fuhr also in das bayrische Coburg. Du hattest mir einen blaublütigen Waldbesitzer empfohlen. Doch ich reiste zwar neugierig,
     aber die Neugier wurde unbewusst von meinen angelernten Klassenkampfklischees über Privateigentum, Großgrundbesitzer und Waldeigentümer
     kontrolliert und gehemmt. Also gab ich mich in Coburg mit der Feststellung zufrieden: Der Waldeigentümer in der BRD besitzt
     auch die Jagd, das heißt, er kann sie verpachten. Und der schlecht verdienende oder gar verschuldete kleine Mann, auch wenn
     er seit seiner Jugendzeit ein Jagdliebhaber ist, kann sich keine Pacht leisten. Fazit: BRD-Jagd ist gleich Geld-Jagd.
    Du bist in das thüringische Wasungen gefahren, wo ich dir einen Jäger vorstellte. Und der erzählte Dir – wohl in der Annahme,
     dass Du als West-Autor nichts über hegende und pflegende Arbeiter-und-Bauern-Jäger im volkseigenen Wald (die es auch gab)
     wissen willst – lediglich, wie er den Partei- und Staatsbonzen die Böcke vor die Flinte zu treiben hatte. Fazit: DDR-Jagd
     ist gleich Bonzen-Jagd.
    Die Kennenlerngemeinschaft war schwerer zu handhaben als die Konsumgemeinschaft. Auch weil kurz vor der Vereinigung in den
     Medien weniger das Guten-Tag-Sagen zwischen Ost und West publiziert wurde, sondern Tag für Tag neue Sensationsmeldungen über
     Honeckers Schweinestall erschienen: Frühgeborene in den Mülltonnen der DDR-Kliniken. Pornovideos in Honeckers Wandlitz-Palast.
     Gedopte DDR-Olympiasieger. DurchAtomstrahlen getötete oppositionelle DDR-Schriftstel ler . DDR-Waisen in Kinderheimen zur Arbeit gezwungen und missbraucht. 1
    Enthüllungen Schlag auf Schlag und täglich. Da war es schwierig, als DDR-Bürger in Köln aufzukreuzen und einfach höflich,
     aber doch selbstbewusst »Guten Tag, hier bin ich, ich kann nicht anders« zu sagen.
    Nach der Vereinigung wurde es nicht einfacher, sich zum besseren Kennenlernen ehrliche und vollständige Lebensgeschichten
     zu erzählen. Je höher ehemalige DDR-Bürger wie Wetterfrösche bei Sonnenschein die politische Karriereleiter hinaufstiegen,
     umso weniger erzählten sie von ihrem früheren Leben. Sie erzählten nicht mehr, wer sie denn gezwungen hatte, im Studium nicht
     nur ein einfaches FDJ-Mitglied, sondern ein FDJ-Grup penratsmitglied zu werden, wer sie gezwungen hatte, sich unentgeltlich zum Doktor oder Professor der Naturwissenschaften (nicht des Marxismus-Leninismus!)
    

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