Urlaub mit Papa
die Haustür.
»Heinz.«
Er streckte ihm die Hand entgegen. Mein Vater ergriff sie.
»Kalli.«
Kalli legte meinem Vater die andere Hand auf die Schulter.
»Mensch, Heinz.«
»Kalli. Wie lange ist das jetzt her?« Unermüdlich schüttelten sie sich die Hände.
»Heinz, du. Nach all den Jahren. Mensch.«
»Ja, Kalli.«
Sie waren echte Männer. Harte Männer. Aber ich war das Kind und wurde von Kalli umarmt.
»Christine, meine Güte, du bist ja richtig erwachsen. Ich weiß noch, wie du mir beim Bäuerchenmachen auf meinen einzigen Anzug gespuckt hast. Eine halbe Stunde vor der Kirche. Das war Volkers Konfirmation, glaube ich. Oder, Heinz? Da hast du mir noch eine Jacke geliehen. Du warst aber auch ein niedliches Kind, Christine.«
»Dein Sohn und ich sind derselbe Jahrgang. Mit vierzehn habe ich kein Bäuerchen mehr gemacht, Kalli.«
»Nicht? Na, dann war es vielleicht die Taufe. Wie die Zeit rennt. Dann kommt mal rein, ich koche uns Kaffee.«
Wir folgten ihm ins Wohnzimmer, Kalli räumte auf dem Sofa einen Stapel Zeitungen, Papiere und Post zusammen und befreite den Sessel von einer Wolldecke, einem Fahrradhelm und Schuhputzzeug.
»Setzt euch. Ich bin gleich wieder da.«
»Man merkt, dass er ohne Hanna aufgeschmissen ist«, flüsterte mein Vater, »ich glaube nicht, dass es hier sonst so unordentlich ist.«
Er griff nach einer Illustrierten und fing an zu blättern. Ich sah mich im Wohnzimmer um. Es hätte auch die Einrichtung meiner Eltern sein können. Rechts die dreiteilige Polstergarnitur, davor der niedrige Couchtisch, links die große Schrankwand mit integriertem Fernsehschrank und Hausbar, dazwischen der Esstisch mit vier Stühlen, daneben das praktische Sideboard. Vermutlich lag in den Schubladen die Tischwäsche und im Schrank standen die Vasen und guten Karaffen, die man nie brauchte. An den Wänden hingen die üblichen Familienbilder. In der Mitte die ganze Familie vor dreißig Jahren, Hanna in der Mitte, Kalli hinter ihr, rechts der pubertierende Volker, links die etwa zehnjährige Katharina. Meine Großeltern hatten zu ihrer goldenen Hochzeit dieselbe Version von uns bekommen. Daneben erkannte ich Katharinas Hochzeitsbild, Volker in Marineuniform und diverse Kinderbilder, wahrscheinlich Katharinas Tochter. Ich überlegte, wann mein Vater und Kalli sich zuletzt gesehen hatten. Mein Vater warf die Zeitschrift mit gerunzelter Stirn zurück auf den Stapel.
»Lauter Kochrezepte. Was der alles liest.«
»Wann habt ihr euch eigentlich das letzte Mal gesehen?«
»Neulich erst. Als Hanna und er in Dänemark waren. Da sind sie mit der Fähre nach Sylt gekommen. Als wir gerade die Auffahrt gepflastert haben.«
»Papa, das ist zehn Jahre her.«
»Tatsächlich? Da kannst du mal sehen. Und an der Auffahrt ist nichts dran, da liegt noch jeder Stein richtig. Das war eine gute Firma.«
Kalli kam mit einem Tablett zurück. Drei Tassen ohne Untertassen, eine angebrochene Tüte Kekse, die Kanne der Kaffeemaschine, deren Inhalt sehr hell aussah. Er stellte die Tassen auf den Couchtisch und goss Kaffee ein. Wir sahen interessiert zu, wie sich das Kaffeepulver am Boden absetzte. Kalli legte den Kopf schief.
»Komisch. Woher kommt das viele Pulver?«
»Man muss eine Filtertüte in diese Maschine tun. Hast du das gemacht?« Mein Vater rührte vorsichtig um.
Kalli beugte sich über die Tasse. »Eigentlich schon.«
»Was heißt
eigentlich
?«
»Ich bin doch nicht blöde. Natürlich habe ich das. Ich koche nicht zum ersten Mal Kaffee. Christine, guck du doch mal.«
»Vielleicht ist die Filtertüte umgeklappt.«
Kalli rührte in der Kaffeekanne und ließ das Kaffeepulver wirbeln.
»Ja, und jetzt?«
Ich betrachtete die gelbbraune Brühe. »Neuen Kaffee kochen?«
Kurz entschlossen kippte mein Vater den Inhalt seiner Tasse in die Kanne zurück.
»Hast du auch Weizenbier?«
»Ja, hab ich. Zu viel Kaffee ist auch gar nicht gut. Ich kriege in letzter Zeit immer so schnell Sodbrennen. Christine, möchtest du vielleicht einen Saft?«
»Saft?« Ich überlegte, ob Kalli Rücksicht auf mein kindliches Alter nahm.
»Du kannst natürlich auch ein Likörchen haben.«
Er meinte nicht mein Alter, Weizenbier war nun mal ein Männergetränk.
»Nein danke, kein Likörchen, Kalli, einfach Wasser.«
»Ich gehe mal in den Keller, einen Moment.«
Mein Vater sah ihm nach und beugte sich zu mir. »Der ist ja völlig überfordert ohne seine Frau. Nicht mal Kaffee kann er kochen, wie versorgt er sich bloß? Ich werde
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