Urmel zieht zum Pol
über die Eroberung der Pole
gelesen hatte, schien nun auch ihr, daß ihnen ein besonderes Ereignis
bevorstünde. Welche Anstrengungen hatte es doch gekostet, den »Nagel der Welt«
zu erreichen! Ihre Phantasie ging mit ihr durch... sie sah im Glast
unwirkliche, lockende Bilder, blühendes Land — während die bläulichen Schatten
im rotleuchtenden Sonnennebel doch nur Lichtspiele waren.
»Hok!
— Hok! — Hok! —«, rief Angakorok. Noch einmal spannten die Hunde
die Riemen, sie reckten die Schwänze — der Professor stolperte, raffte sich
auf, sah die Schlitten weit voraus, brummte: »So ist es richtig! Wutz in der
Schlummertonne wird noch vor mir am Pol sein!«
Weiter
ging’s über farbenfunkelnden Schnee! Und da kamen sie an einen purpurflammenden
Hügel...
Sie erreichen ein Ziel, von dem es mehr zu denken als zu sehen gibt
Ein
purpurflammender Hügel, ein Hügel aus Eis —? Leuchtete er von innen, oder
strahlte er die Sonne wider? »Halt!« rief der Professor. Er schwenkte die Arme
über dem Haupt. »Halt!« Angakorok bändigte die Hunde.
Langsam
versammelten sich die Nachzügler. Alle waren außer Atem. Auch die Hunde
keuchten. Aber der Professor strahlte. »Geschafft!« sagte er. »Wir haben es
geschafft! Wir sind auf dem Gipfel der Welt.« Und er schüttelte allen die Hand
— soweit eben Hände geschüttelt werden konnten, und keine Pratzen, Pfoten,
Flügel und Klauen. »Dieser Klecks ist der Gipfel der Welt?« Das Urmel war
enttäuscht. »Na, den hab’ ich mir aber höher vorgestellt.« Kopfschüttelnd
betrachtete es den Hügel, und dann erklomm es ihn, um sich oben in Positur zu
stellen. Dort kratzte es ein wenig im Schnee herum und maulte: »Wo is’n nun der
große Nagel, um den sich die Welt dreht?«
»Man sieht
ihn nicht, man denkt ihn sich nur!« antwortete Habakuk Tibatong.
»Das ist
bedeutend anstrengender, aber auch viel tiefsinniger, öfföff«, bemerkte Wutz.
»Schaut euch
um, seht auf eure Schatten«, forderte der Professor sie auf. »In immer gleicher
Höhe kreist die Sonne über uns. Von hier aus führen alle Wege nach Süden...«
»Wie
aufregend«, grunzte Wutz. »Aufregend und irgendwie unheimlich. Nur verstehe ich
es nicht! Aber das macht nichts, öfföff!«
»Du wirst
noch mehr nicht verstehen«, sagte der Professor. »Hier endet nämlich die
menschliche Zeitrechnung. Hier stoßen die Uhrzeiten Europas und Amerikas
zusammen, die von Peking und die von San Franzisko. Und doch müssen sie um vierundzwanzig
Stunden verschieden voneinander sein. Mit einem Schritt kannst du die Grenze
von einem Tag zum anderen überschreiten. Hier, wo ich stehe, ist vielleicht
noch Mittwoch, wo du bist, schon Donnerstag...« Der Professor geriet ins
Schwärmen. »Hier ist das Jahr wie ein Tag, hier scheint die Sonne sechs Monate,
und weitere sechs Monate folgt eine Nacht der anderen, in der nur der Mond und
die Sterne im Kreis wandern.«
»Ein schönes
Durcheinander!« meinte das Urmel. Und Ping Pinguin bemerkte: »Das wäre nichts
für Wawas Denkerei von der Sonne und dem Mond, die über seine Mupfel ziehen.«
Und Wutz
sagte: »Ich habe Hunger. Erkläre uns das zu Hause in aller Ruhe, bitte.«
Doch Ping
Pinguin wollte noch wissen, ob er nun wirklich der allererste und einzige
Pinguin der Welt auf dem Nordpol sei.
»Das bist
du!«
»Bitte, Tim
Tintenklecks, fotografiere mich! Ich will Wawa das Bild pfenken, damit er es in
seine Mupfel hängen kann.«
Tim
Tintenklecks fotografierte ihn, er fotografierte Angakorok mit den Hunden, er
fotografierte den Professor, Babu und Wutz — und dann knipste der Professor
ihn, wobei Tim Tintenklecks so verlegen grinste, daß er sich sein Leben lang
darüber schämte.
Danach
stapfte der Professor zu einem Schlitten und holte aus einem Rucksack eine
schwarze Tafel, die mit leuchtend roten Buchstaben bemalt war.
Etwas zum
Lesen! Wutz entzifferte eifrig:
»Am heutigen
Tag, Anno Domini, betrat Professor Habakuk Tibatong mit seinen sprechenden
Tieren den Nordpol. In seiner Begleitung befanden sich Wutz, das kluge Schwein;
Urmel aus dem Eis; Ping Pinguin und Babu, der Pandabär. Es führte sie der
unübertreffliche Angakorok.«
»Großartig,
öfföff — wann hast du das geschrieben?«
»Vor dem
Abmarsch, nachts auf dem Schiff!«
Er hieb den
Holzstiel der Tafel in den Schnee, neben den Hügel. Da machte sie sich
wunderhübsch. »Mögen sich diejenigen, die es lesen, vielleicht auch wundern
oder es für einen Scherz halten: Ehre, wem Ehre gebührt!«
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