Urod - Die Quelle (German Edition)
hielt.
„Dann muss es so gehen!“ sagte er und hielt Viola ein Hosenbein entgegen.
Viola stand auf und schnappte sich ein Hosenbein. Dann nahm jeder von ihnen einen von Thomas' Unterschenkel in die Hände. Sie zogen probeweise an, um zu sehen, ob ihre selbstgemachte Rutschbahre hielt. Sie tat es.
„Jetzt nichts wie weg hier. Der Transporter müsste ungefähr zwei Kilometer westlich von hier stehen.“
„Heißt das rechts oder links?“ fragte Viola.
„Rechts“, antwortet Miles.
Sie zogen an. Thomas' Körper rumpelte über den Boden. Es war schwer. Viel schwerer als Viola gedacht hatte. Sie kamen nur langsam voran und waren schon nach wenigen Metern völlig außer Atem. Doch keiner von ihnen verlangsamte das Tempo oder machte Anstalten aufzugeben. Zwei Kilometer. Zweitausend Meter und dahinter die Freiheit. Das trieb sie an. Von den Urods war nichts zu sehen oder zu hören. Sollten sie kommen, wären sie ihnen hilflos ausgeliefert. Sie hatten nichts, mit dem sie sich verteidigen konnten. Und sie waren mit ihren Kräften am Ende. Alles, was sie jetzt noch retten konnte, war, schneller zu sein als die Monster.
Schritt für Schritt kamen sie voran. Ihre Glieder erschienen Ihnen schwer wie Blei, aber sie gingen weiter. Viola spürte, wie ihr Körper sich langsam erwärmte und ihre Lebensgeister zurückkehrten, obwohl sie kaum noch Ressourcen hatte.
Die Luft war klar und ein leichter Wind wehte. Nicht zu warm und nicht zu kalt. Die Bäume um sie herum spendeten Schatten, ließen aber genügend Sonne hindurch, dass es angenehm warm wurde. Es war still und friedlich. Nur das leise Rauschen der Baumkronen begleitete sie. Die Urods erschienen wie ein ferner, sehr verrückter Traum. Weit, weit weg. Viola spürte, wie eine Euphorie sie erfasste. Eine Gefühl, das ihr Angst machte. Was bedeutete das? War sie dem Tod näher als sie dachte? Wie ein Erfrierender, dem kurz vor seinem Ende endlich warm wird?
„Da vorne steht er!“
Viola fuhr erschrocken zusammen, als Miles' Stimme die konzentrierte Stille durchbrach. Für einen Moment war sie verwirrt, so als erwache sie gerade aus einem Mittagsschlaf.
„Was?“
„Der Transporter. Ich kann ihn sehen. Wir haben's fast geschafft.“
Viola konnte es kaum glauben. Sie war die letzten Meter gelaufen, ohne jedes Gefühl für ihre Körperlichkeit. Doch nun fiel ihr auf, wie kraftlos sie war. Viel länger würde sie nicht durchhalten können. Nur noch ein paar Meter.
„Gott, kann das sein?“
Miles' Ausdruck war die pure Verbissenheit. Auch er war am Limit angelangt. Auch ihm erschien der Transporter wie eine Fata Morgana.
„Warte!“ sagte Miles plötzlich.
Viola starrte zu fragend zu ihm herüber. Sie wollte nicht innehalten, aus Angst nicht mehr weiter zu können.
„Warum, wir sind doch gleich da!“
Ihre Stimme war quengelig wie die eines Kindes.
„Der Schlüssel! Er muss irgendwo in Thomas' Hosentasche sein und wir sollten ihn zur Hand haben.“
Viola hielt inne. Ihre Beine fühlten sich gleichzeitig steif und wabbelig an. Miles beugte sich über Thomas und durchsuchte seine Jeans. Viola brachte es kaum über sich, ihren Geliebten anzusehen. Als Miles an Thomas' Hosentasche rupfte, entfuhr diesem ein leises Stöhnen. Viola sank sofort auf die Knie und beugte sich über sein Gesicht.
„Thomas? Kannst du mich verstehen?“ fragte sie.
Er zeigte keine Reaktion.
„Wir sind gleich da. Nicht mehr lange und du bist in Sicherheit“, murmelte sie.
„Ich hab ihn“, sagte Miles und hielt den Schlüssel hoch. Seine Hände waren blutig. Als er das bemerkte, versuchte er es vor Viola zu verbergen, aber sie hatte es bereits gesehen.
„Beeilen wir uns!“ sagte sie mit belegter Stimme.
Miles stopfte das Schlüsselbund in seine Strümpfe, um beide Hände frei zu haben.
Der Transporter war nur noch wenige Meter entfernt. Da spürten sie es. Es war weder ein Geräusch zu hören, noch war etwas zu sehen, aber sie blieben gleichzeitig stehen und blickten sich hektisch nach allen Seiten um. Keiner der beiden hätte sagen können, warum sie plötzlich das Gefühl hatten, jemand sei in der Nähe. Und doch teilten sie diesen Eindruck.
„Gehen wir weiter!“ flüsterte Miles.
Sie zogen Thomas' Körper jetzt blindlings über den Boden. Alle Vorsicht, ihn nicht weiter zu verletzen, war von ihnen abgefallen. Schneller und schneller trabten sie vorwärts.
Der Transporter stand noch genauso da, wie sie ihn vor kurzem vorgefunden hatten. Viola kam es vor wie
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