Urod - Die Quelle (German Edition)
nehmen.“
Die Jungs nickten beide, aber Viola begriff, wie sinnlos ihr Vorschlag war. Sie waren schon jetzt an der Grenze ihrer Kräfte angelangt. Es war ihnen schlicht nicht möglich, schneller zu schwimmen.
„Sie werden eine ganze Weile brauchen“, ächzte Miles.
Viola konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich selbst beruhigen wollte. Sie sagte nichts weiter und schwamm einfach weiter. Ihre tauben Gliedmaßen schienen fremdgesteuert. Irgendwie bewegte sie sich durch das Wasser, aber das einzige, was sie fühlte, war ihr Kopf. Der Rest war eingeschlossen in einen stählernen Panzer, einer eisernen Lunge, die ihn unnachgiebig umschlang. Stück für Stück kamen sie vorwärts. Sie keuchten und schnauften und schluckten Wasser, aber sie gaben nicht auf.
Nur noch wenige Meter.
Die Bäume des Waldes, der auf der anderen Seite des Sees lag, warfen ihre Schatten voraus. Viola war erleichtert, als sie die Spitze des Schattens erreichten. Kurz darauf spürte sie festen Boden unter den Füßen. Sie watete durch das immer seichter werdende Wasser. Langsam spürte sie auch ihre Glieder wieder, die sofort unkontrolliert zu zittern anfingen. Kälte und Erschöpfung drohten sie zu übermannen, aber sie schaffte es, auf den Beinen zu bleiben. Neben ihr kroch Thomas auf allen Vieren durch das Wasser. Sie wollte ihm aufhelfen, aber sie konnte es nicht. Er schüttelte nur den Kopf und kroch weiter. An Land legte er sich auf den Rücken und schloss die Augen. Sein Atem war flach, sein Gesicht wirkte eingefallen.
„ Thomas?“ fragte Viola ängstlich.
Thomas hob einen Finger seiner Hand. Zu mehr war er nicht in der Lage.
Viola drehte sich um und hielt Ausschau nach Miles, der schwer zu kämpfen hatte. Er versuchte immer wieder mit den Beinen auf den Boden zu kommen, doch er war noch zu weit weg und versank jedes Mal im Wasser. Er war völlig am Ende. Obwohl es ihr zutiefst widerstrebte, zwang Viola sich in das kalte Wasser zurück zu sprinten. Ihr Kiefer bibberte und ihre Zähne schlugen hart aufeinander. Sie ignorierte es und stürzte sich erneut in die eisigen Fluten. Miles hatte eine ganze Ladung Wasser geschluckt und hustete erbärmlich. Viola schwamm zu ihm, packte ihn, drehte ihn auf den Rücken und schwamm rückwärts mit ihm zum Ufer. Er hustete wie verrückt und bewegte sich unkontrolliert. Viola konnte ihn kaum halten und war versucht, ihm die Halsschlagader abzudrücken, damit er das Bewusstsein verlor und endlich Ruhe gab. Doch sie hatte Angst, ihn am Ende noch tatsächlich zu erwürgen, also zerrte sie ihn mehr schlecht als recht ins seichte Gewässer. Dort ließ sie ihn liegen und schleppte sich ans Ufer. Sie konnte die Kälte keine Sekunde länger ertragen. Irgendwie gelang es ihr, zu einem Fleckchen Erde zu kriechen, das die Sonne mit ihren warmen Strahlen beschenkte. Sie legte sich auf den Rücken, schlotternd und den Tränen nah und hielt ihr Gesicht den rettenden Strahlen entgegen. Ihre Zähne schlugen so hart gegeneinander, dass fürchtete, sie könnten abbrechen.
Miles hustete immer noch, doch er kam langsam zur Ruhe. Es gelang ihm, sich die letzten Meter aus dem Wasser heraus zu rollen. Erschöpft nach Atem ringend, blieb auch er nun am Boden liegen und versuchte wieder zu Kräften zu kommen.
Viola blickte zu Thomas.
Er lag still auf dem harten Boden, aber seine Brust hob und senkte sich. Und dennoch. Sie würden ihn so schnell es geht von hier wegschaffen müssen. Er brauchte einen Arzt. Sie wälzte sich auf den Bauch und sammelte sich für einen Moment. Ihr Körper schrie nach Ruhe. Aber noch waren sie nicht am Ziel. Für einen kurzen Moment fragte sie sich, ob ihr Baby die ganzen Strapazen überleben würde. Doch dann verdrängte sie jedweden Gedanken daran. Wenn sie starb, dann hatte das Kind keine Chance. Sie musste alles tun. Was immer nötig war. Sie zwang sich, das unkontrollierte Klappern ihrer Zähne zu beenden, indem ihre Zahnleisten fest aufeinander presste. Es half. Nach einer Weile ließ das Zittern ihrer Kiefer nach. Das machte ihr Mut, denn es bedeutetet, dass sie die Kontrolle zurück erlangen konnte.
Bedächtig richtete sie sich auf. Zuerst auf alle Viere. Dann stützte sie ihre Hände auf ihren Oberschenkeln ab und half sich so selbst in eine aufrechte Position. In ihrem Kopf drehte sich alles und für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen, aber sie senkte den Kopf und wartete einfach, bis es vorüberging. Sie rieb ihre Schenkel und Arme kräftig ab, um die
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