Urod - Die Quelle (German Edition)
konnte. Sie hatte sich geirrt. Problemlos ging die Bezahlung vonstatten. Erleichtert packte Viola die Kanister, die Schaufel und Lebensmittel auf die Ladefläche das Transporters und machte, dass sie davon kam, bevor das Mädchen ihren Vater oder sonst wen rufen konnte.
Niemand kam ihr entgegen. Gut.
Nachdem sie auf das Plateau zurückgekehrt war, aß und trank sie gierig. Danach ging es ihr besser. Neue Kraft durchströmte sie. Sie begann zu graben.
Als sie Thomas begraben hatte, ruhte sie sich aus. Noch war sie nicht bereit. Und zu nass war es außerdem.
Sie aß, sie trank. Sie schlief. Auf Thomas’ Grab. Sie dachte an nichts.
Dann war es Zeit. Die trockene Hitze des Sommers war ein Segen. Sie setzte sich ins Auto und fuhr zurück. Sie schaffte es bis etwa zur Mitte des Waldes. Weiter kam sie nicht. Die Angst und das Grauen regten sich in ihr. Es musste reichen.
Sie ging noch ein paar Meter in den Wald hinein und verschüttete das Benzin von vier Kanistern. Dann zündete sie das Streichholz an und sah zu, wie die Flammen jäh empor züngelten. Dann fraß sich das Feuer seinen Weg durch den Wald.
Viola rannte zum Transporter zurück und fuhr los. Flammen, Rauch, Tod und die Hoffnung, dass alles vernichtet würde, begleiteten sie. Dieses Mal schaute sie nicht in den Rückspiegel. Erst als sie das Plateau erreichte, hielt sie an. Sie blickte sich um. Eine riesige Feuersbrunst loderte in der Ferne. Hier würde es enden. Sie hatte es vollbracht. Es war vorbei.
Sie warf einen Blick auf Thomas’ Grab. Zeit, Abschied zu nehmen. Viola strich sich über ihren Bauch, der sich bereits leicht hervor wölbte. Für einen Moment wunderte sie sich, wie schnell es ging. Doch der Anblick gab ihr Halt, Trost und Frieden. Thomas würde in diesem Kind weiter leben. Das gab ihr schließlich die Kraft, sich in den Transporter zu setzen und loszufahren.
Sie fuhr zurück in ein Leben, das sie sich nicht vorstellen konnte. Es würde anders sein, denn sie war eine andere geworden. Doch eines wusste sie sicher: Nichts konnte ihr jetzt mehr Angst machen.
EPILOG
Thomas’ Todestag jährt sich heute zum dritten Mal. Ich hatte gedacht, es würde irgendwann einfacher. Ich dachte, ich könnte ihn vergessen, aber es gelingt mir nicht. Jeden Tag sehe ich in sein Gesicht. Zoe hat seine Augen, sein Lächeln, seine Haare. Und auch Sebastian ist ganz nah bei mir. Immer noch. Zagreus sieht aus wie sein Vater. Das blonde Haar, das starke Kinn. Die athletische Statur. Ich wusste nicht, dass es möglich sein kann. Ich glaubte zu spinnen. Aber dann habe ich recherchiert. Die Zwillinge sind von zwei verschiedenen Vätern. Es scheint, als habe mein Körper sie alle beide auserwählt. Weil ich mich nicht entscheiden konnte.
Dass ich nach Deutschland zurückgekehrt war, erzählte ich niemandem. Ich nahm Harris’ Kreditkarte, packte ein paar Sachen und verließ die Stadt. Dann erst ging ich zum Arzt. Ich hatte nicht eine Sekunde Zweifel daran, dass mein Baby lebte. Ich konnte es spüren. Und dann sah ich es zum ersten Mal. Sah sie zum ersten Mal. Es waren Zwillinge. Die beiden Herzen schlugen im Gleichklang. Absolut synchron. Ein kurzer, unbändiger Moment des Glücks. Ich hatte Leben in mir. Ich jubelte.
Doch dann kam die Angst. Sie grapschte nach mir mit ihren kalten Klauen. Die Babys waren so weit entwickelt wie im dritten Monat. Das war unmöglich.
Doch ich schwieg.
Die Babys wuchsen rasant. Ich wechselte jedes Mal den Arzt. Nach genau fünfeinhalb Monaten kamen Zoe und Zagreus auf die Welt. Sie waren sehr groß und mussten per Kaiserschnitt entbunden werden, sonst hätten sie mich zerrissen. Sie waren wunderschön. Sie waren perfekt. Es war so offensichtlich, dass sie Thomas’ Tochter war und dass er Sebastians Sohn war. Jetzt wären wir für immer vereint. Alles schien gut zu werden.
Doch die ersten Monate waren schrecklich. Die Kinder aßen und aßen und aßen. Die Angst kam zurück. Sie wuchsen schnell. Viel zu schnell.
Ich war so verzweifelt. So allein. Das alles war nicht normal. Ich musste mich verstecken. Musste sie verstecken. Niemand durfte sie sehen. Ich dachte nach. Als ich mich in der Nähe des Geräusches aufhielt, waren meine Kinder nur ein Haufen Zellen. Sie standen am Anfang ihrer Entwicklung zu Menschen. Da dieses Geräusch stark genug war, auf die DNS eines fertigen Menschen einzuwirken, so wären seine Schallwellen doch sicher in der Lage, auf einen Zellhaufen Einfluss zu nehmen. Drei
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