Urod - Die Quelle (German Edition)
kauerte. Sie ging auf Lea zu, um sie in den Bus zu geleiten, doch da hatte die sich bereits erhoben, marschierte mit versteinerter Miene auf den Busfahrer zu und boxte ihn mit aller Kraft in den Bauch, was sowohl den Busfahrer als auch die schlaulustigen Einheimischen und die vier Deutschen völlig überraschte. Wie vom Donner gerührt starrten sie auf den Fahrer, der sich vor Schmerz zusammenkrümmte und hörbar nach Luft schnappte. Keiner wagte es, sich zu bewegen. Als der Fahrer wieder atmen konnte, ballte er die Fäuste und schwankte auf Lea zu - bebend vor Zorn. Unwillkürlich rückten die fünf zusammen. Sebastian stellte sich sofort vor die kleine Gruppe.
„ He, he! Immer mit der Ruhe!“ versuchte er den Fahrer zu beschwichtigen. „Was hat er denn vor?" raunte er Thomas zu, der direkt hinter ihm stand.
Trotz des Ernstes der Situation, mussten die beiden sich beherrschen, um nicht loszuprusten. Viola hingegen spürte gleich, dass eine Grenze überschritten war, diese Demütigung würde der Fahrer nicht auf sich sitzen lassen können. Ein paar Sekunden lang schien er selbst zu überlegen, was er nun tun solle und blickte feindselig von einem zum anderen. Die Mitreisenden drückten ihre Nasen an den Fensterscheiben platt, gespannt, was als nächstes passieren würde. Ein paar männliche Stimmen waren zu hören. Viola konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber ihr Tonfall war aufwieglerisch. Einer der Teenager hielt sich Zeige- und Mittelfinger unter die Nase und ahmte den Hitlergruß nach. Auch weibliche Stimmen waren zu vernehmen, sie schienen die Lage allerdings befrieden zu wollen.
„ Ich regle das schon", sagte Sebastian und nestelte an seiner Gesäßtasche, um seine Geldbörse zu zücken.
Doch Viola war klar, dass das keine Lösung sein würde und hielt ihn davon ab. Mit einem mädchenhaft unschuldigen Lächeln trat sie auf den Fahrer zu. Im Laufe ihres Lebens hatte sie gelernt, dass sie ihr Aussehen nicht verteufeln, sondern einsetzen sollte, um zu erreichen, was sie wollte. Sie machte das nicht oft, aber, nachdem sie einmal entdeckt hatte, wie gut es funktionierte, und zwar ungeachtet des Geschlechts ihres Gegenübers, setzte sie es hin und wieder ein, besonders, wenn es nicht nur um sie selber ging. Die Gesichtszüge des Busfahrers wurden sofort weicher. Viola sah es mit Erleichterung und wies auf Lea.
„ Es tut ihr wirklich leid. Aber sie liebt Tiere und…sie ist ein bisschen durcheinander, müssen Sie wissen.“
„ Was redest du denn da?!“ ereiferte sich Lea empört, „Der Vogel hat noch gelebt und da kommt dieser Typ und macht ihm einfach den Garaus.“
Sebastian wollte sie zum Schweigen bringen, doch es war zu spät. Auch wenn der Fahrer offensichtlich kein Deutsch verstand, so war ihm doch klar, dass Lea alles andere als Reue zeigte und seine Miene verhärtete sich augenblicklich. Enza packte Lea unsanft am Arm und schüttelte sie leicht.
„ Au, du tust mir weh!“
„ Es wäre besser, du entschuldigst dich bei dem Typ!“
Doch alles, was Lea tat, war, trotzig die Unterlippe zu wölben und die Arme zu verschränken.
Aus dem Bus war nun immer lauter werdendes Genörgel zu hören. Der Busfahrer geriet in Zugzwang. Zu stolz, um die Sache auf sich beruhen zu lassen, fluchte er zweimal laut und sah Lea an. Er schien immer noch auf eine Entschuldigung zu warten. Viola drängte Lea, endlich zu sagen, was der Fahrer hören wollte. Widerwillig wandte Lea sich dem Fahrer zu und setzte an, etwas zu sagen, brach dann jedoch ab und schaute zu den Studenten herüber.
„ Ich kann mich einfach nicht bei diesem Idioten entschuldigen."
„ Idiot? Idiot!" schrie der Busfahrer empört.
Offenbar war das bulgarische Wort für Idiot - Idiot. Lea entgleisten die Gesichtszüge. Der Fahrer rannte zum Bus zurück, riss die Gepäckklappe auf und warf ihre Rucksäcke und Koffer einfach auf die Straße. Thomas und Sebastian versuchten ihn zu beschwichtigen, aber sie hatten keine Chance. Lea rührte sich immer noch nicht und selbst Violas flehende Bitte, sie nicht einfach in der sengenden Hitze stehen zu lassen, überhörte der Fahrer.
Bevor die fünf überhaupt so richtig begriffen, in welch unguter Lage sie steckten, war der Bus auch schon auf und davon. Die einheimischen Mitfahrer feixten, und auch wenn ihnen einige mitleidige Blicke zuwarfen, so waren sie doch alle froh, dass es endlich weiterging. Niemand setzte sich für sie ein. Der Bus ratterte davon und hüllte sie in eine Wolke aus schwarzen
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