Uschi Zietsch
stolz darauf sein, seinem Volk gedient zu haben.«
Die Mutter weinte nur noch, das Gesicht in den Händen vergraben. Ihr Mann trat zu ihr und nahm sie tröstend in die Arme.
»Ihr könnt lange reden«, sagte er leise. »Der Schmerz bleibt doch immer derselbe. Das werdet Ihr nie verstehen.«
Kelric sah, wie Melwin erneut zusammenzuckte; er erhob sich und stellte sich vor ihn. »Seid Ihr auch dafür, dass ich nach Laïre gehe?«, fragte er. »Ich spüre, dass Ihr gegen mich seid. Warum?«
Melwin starrte ihn verblüfft an. »Wie kannst du das wissen?«, fragte er forschend.
Kelric hob die schmalen Schultern. »Ich lese Eure Gedanken«, erklärte er schlicht. »Ihr glaubt, dass ich einen Dämon nach Laïre trage, weil ich eine unheimliche Begabung habe. Und Ihr denkt in Verbindung mit mir an einen Aranwir, der ...«
Er verstummte erschrocken, als ihm Melwin die Hand auf den Mund presste. »Still!«, zischte er. »Sprich niemals diesen Namen aus!«
Einige Zeit herrschte lastendes Schweigen in der Hütte, und Kelric fühlte sich unbehaglich unter den vielen Augen, die auf ihn gerichtet waren.
»Oh, Kind!«, flüsterte seine Mutter schließlich in abgrundtiefem Schrecken. »Welcher Dämon besitzt dich?«
Sargon stand auf und legte seine alte Hand um Kelrics Schultern. »Keiner, Frau«, sagte er ernst und beruhigend. »Haben Sie keine Sorge um ihn. Er ist ungewöhnlich begabt, aber seine Kraft ist natürlich und nicht eingegeben. Ich sehe Reinheit in seiner kleinen Seele.«
Auch die anderen Zauberer erhoben sich, und Fergon, der ein gutes Stück kleiner und rundlicher war als seine Gefährten, sprach freundlich: »Nun haben wir viele Worte gemacht und den Jungen kein einziges Mal gefragt, ob er überhaupt mitgehen will. Ich finde, dass er ein Recht darauf hat, seine Meinung zu äußern, da es um ihn geht.« Er stieß Kelric sacht mit einem Finger an. »Na, kleiner Mann?«, sagte er. »Willst du mit uns kommen nach Laïre auf eine Schule, die zehnmal so groß ist wie dein Dorf, in der es ganz viele Kinder deines Alters gibt, mit denen du spielen kannst, wo du im Sommer im See baden kannst, grüne Wiesen und Bäume siehst, und wo du eine ganze Menge lernen kannst, was dich viel klüger als alle anderen macht? Willst du deine Eltern stolz auf dich machen?«
Kelric starrte den alten Mann aus großen Augen an. Er hörte seine Mutter im Hintergrund schluchzen, spürte die besorgten, traurigen Blicke seines Vaters. Sie würden ihm fehlen. Alles würde ihm fehlen. Und er hatte sich nicht einmal von seinem großen Bruder verabschieden können.
Und dennoch nickte er.
In der fürsorgenden Mitte der Zauberer verließ Kelric die Stätte seiner Kindheit; wohl stahlen sich ihm ein paar Tränen in die Augen, als er an seine zurückgelassene weinende Familie dachte; aber als die Heimat seinen Blicken entschwunden war und sich vor ihm ein neuer Weg zwischen den Felsen hindurchschlängelte, blinkend in der Vormittagssonne, nur hin und wieder von kleinen Nebelschleiern der Zukunft verhüllt, da wurde das verwirrte Herz ruhiger, der Blick klarer, der Geist beschwingt und fröhlich, als er an das große Abenteuer dachte, das ihm bevorstand.
Sie folgten einige Zeit dem sanft steigenden Pfad, bis sie ein gutes Stück über dem Dorf auf einem Scheideweg ankamen: Der eine Pfad führte nun südwärts hinab in die Täler, der andere nordwärts tiefer in die Berge und in das Herz von Loïree hinein. Die Zauberer hielten zu einem kurzen Gespräch an; aber bevor Lord Sargon einen Vorschlag machen konnte, erklärte Melwin ruhig und fest:
»Ich werde mit Kelric gehen.«
Sie sahen ihn verwundert an. Sargon erwiderte: »Ich wollte Euch eigentlich bei mir haben auf dieser Fahrt.«
Melwin warf einen seltsamen Blick auf Kelric, der ihn still und neugierig beobachtete. »Etwas drängt mich dazu«, sagte er leise. »Ich möchte ihn begleiten.«
Sargon lächelte plötzlich leise in sich hinein, auch Fergon, der wohl seine Gedanken erriet, schmunzelte und murmelte ganz leise: »Mit einem Ziegenhirten? Soso.«
Melwin beachtete ihn nicht, sondern blickte den Führer erwartungsvoll an.
»Einverstanden«, nickte jener schließlich. »Im Grunde ist das die beste Entscheidung. Ich nehme an, Herr Fergon, dass Ihr der Dritte im Bunde sein werdet.«
Der Zauberer bejahte mit einem heiteren Lächeln, und sie besprachen noch einige Dinge, die Kelric nicht mehr interessierten. Er war zufrieden, dass Melwin mitkam, und dem gemütlichen Fergon brachte er
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