Utopia 2050
hundert Millionen von Menschen versuchen es mit R 47.«
»Gewiß.«
»Und?« fragte Et. »Kann ich um Unterstützung aus den Fonds ersuchen oder nicht?«
»Sie können einen Antrag stellen«, sagte Wessel.
Er gab Et ein dickes Bündel Formulare zum Ausfüllen. Et nahm es mit ins Hotel, in dem er wohnte, und stellte fest, daß man von ihm nicht allein genaue Kenntnisse des eigenen Werdegangs, sondern solche auch von Wallys persönlichem Werdegang verlangte. Er rief Wessel an.
»Was soll das?« erkundigte er sich. »Neun Zehntel der Informationen müssen sich bereits beim Weltwirtschaftsrat in den Datenbanken des Zentralkomputers befinden!«
»Natürlich«, antwortete Wessel. »Aber die Vorschriften fordern, daß der Antragsteller die Formulare ausfüllt. Tut mir leid.«
Schließlich hatte Et alle Formulare ausgefüllt und reichte sie ein. Zwei Wochen später bat ihn Wessels unmittelbarer Vorgesetzter zu sich.
»Hören Sie, Mr. Ho«, sagte der Mann, während er sich über seinen Tisch beugte und Et mit freundlichem Lächeln ansah, »Sie wollen doch nicht wirklich, daß wir diesen Antrag weiterreichen? Es gehört nicht zu meinen Aufgaben, Antragsteller zu entmutigen, aber ich halte es für meine Pflicht, Sie in Ihrem Interesse darauf hinzuweisen, daß die Erfolgsaussicht gleich Null ist. Eine Hilfe aus diesen Fonds ist jenen vorbehalten, die sie unanzweifelbar verdienen.«
»Verdient mein Bruder keine? Es geschah in dem Bestreben, sich für die Welt nützlicher zu machen, daß die negative Reaktion auf R 47 eintrat, die ihn in den Freitod trieb.«
»Oh, natürlich – Ihr Bruder! Aber Ihr Bruder ist nicht der Antragsteller. Das sind Sie. Ehrlich gesagt, Mr. Ho, nichts in Ihrem Lebenslauf läßt auf die Aussicht eines angemessenen Gegenwerts zur von Ihnen beantragten Summe schließen.«
»Wenn Wally wiederbelebt wird, ist er nichts wert?«
»Es gibt keine Sicherheit, daß er etwas wert sein wird, Mr. Ho. Die fachmedizinische Beurteilung ist wenig optimistisch. Selbstverständlich wäre er unter normalen Umständen eine Person mit einem Verdienst, das man berücksichtigen müßte, aber leider befindet er sich gegenwärtig außerhalb eines Zustands, der ihn zur Wahrnehmung seiner Bürgerrechte befähigte.«
»Und wenn man davon ausgeht, daß ich den Antrag in seinem Namen stelle?« fragte Et.
»Das ist unmöglich, da Sie eng genug mit ihm verwandt sind, um die Verantwortung zu übernehmen. Ein Geschwister- oder Elternteil einer wiederbelebungsgeeigneten Person in kryogenischen Zustand wird automatisch deren Vormund. Als Vormund stellen Sie einen Unterstützungsantrag zum eigenen Vorteil, nicht zu dem Ihres Mündels.«
»Na gut«, sagte Ho. »Also stelle ich ihn.«
Der andere seufzte.
»Wenn Sie darauf bestehen, gebe ich den Antrag weiter. Aber versprechen Sie sich nichts davon. Warum wenden Sie sich nicht an einen Rechtsbeistand?«
»Das werde ich tun«, sagte Et.
Die Voraussage erwies sich als richtig; der Antrag wurde abgelehnt. Et wandte sich an einen Rechtsbeistand, eine jener Persönlichkeiten, die der Aufgabe nachgingen, dem gewöhnlichen Bürger in amtlichen Angelegenheiten und Auseinandersetzungen mit Behörden zu helfen; der Rechtsbeistand war nicht minder pessimistisch als alle anderen.
»Wir können Einspruch erheben, natürlich«, sagte der Rechtsbeistand. »Aber ...« Er hob die Schultern.
Sie legten Einspruch bei der Regionalverwaltung ein, erhielten eine Ablehnung; sie wandten sich an ein Schiedskomitee und wurden abgewiesen; sie appellierten an den Rat des Nordwest-Quadranten und bekamen einen abschlägigen Bescheid.
»Wir können jahrelang weitermachen«, sagte der Rechtsbeistand zu Et, »natürlich. Sie dürfen so viele Anträge und Gesuche einreichen wie Sie wünschen. Aber Sie können darüber alt werden und doch erfolglos bleiben. Etter, das Problem ist, daß Sie keinen potentiellen sozialen Wert vorzuweisen haben. Sie gleichen jemandem, der ohne die Eigenschaft der Kreditwürdigkeit bei einem Kreditinstitut leihen will. Hören Sie auf meinen Rat – geben Sie auf oder ...« Er zögerte.
»Oder?« wiederholte Et.
»Oder suchen Sie sich eine Tätigkeit und beginnen Sie sich in die Aktivkasten der Gesellschaft emporzuarbeiten. Vielleicht haben Sie in fünf, eher in zehn Jahren eine Position von einem sozialen Stellenwert erreicht, die ihnen Mittel aus öffentlichen Fonds zugänglich macht. Wie lange es auch dauern mag, da Ihr Bruder im kryogenischen Zustand ist, wird es ihn nicht
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