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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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lebhaften Beifall ausgezeichnet wurden.
    Ich dachte an die beliebten Photographien unserer Rekordleute im Endspurt, die mehr dämonische Fratzen als menschliche Antlitze zeigen, und ging nachdenklich nach Hause.
     
11
     
    Am nächsten Morgen weckte mich eine unangenehme Nachricht. Eine Stimme rief mich durch den Lautsprecher in unserem Quartier an und sagte, mein Freund Hein müsse sich soeben vor dem Volksgericht verantworten und wünsche meine Gegenwart.
    Was, zum Teufel, mochte der rabiate Kerl wieder angestellt haben?
    Ich eilte in das bezeichnete Gebäude.
    An den Seiten einer langen Tafel saßen je sechs Genossen. Ein dreizehnter hatte am oberen Ende den Vorsitz. Hein, als Angeklagter, saß an der Schmalseite des Tisches gegenüber. Er sprang erleichtert auf, als er mich erblickte, drückte mir die Hand, daß die Knochen knackten, und raunte mir auf Deutsch zu: »Mensch, die haben ’n kompletten Vogel.«
    Ich rückte mir einen Stuhl neben ihn. Der Vorsitzende Genosse begann sogleich, mich zu belehren.
    »Genosse Hein«, sagte er ernst, »hat gegen das oberste Gesetz der freien Arbeitergenossenschaft Utopiens verstoßen …«
    »Quatsch nich, Krause«, murmelte Hein, nur mir verständlich.
    »… gegen das Gesetz von der unbedingten Gleichachtung unter Genossen!
    Hein hat sich vor zwei Tagen nach freier gegenseitiger Wahl mit einer Genossin verbunden …«
    »Schickes Weib!« meinte Hein und schnippte mir den Finger unter die Nase.
    »Er zog in ihr Quartier. Gestern gegen Abend schickte sich die Genossin an, auszugehen, weil sie Bedürfnis nach einem Spaziergang hatte. Hein stellte sich in die Tür und verhinderte sie, das Zimmer zu verlassen. …«
    Hein haute mit der Faust auf den Tisch: »Denkt ihr vielleicht, ich laß mich von ’m Frauenzimmer auf ’n Wagen laden? Ha, da kennt ihr Hein schlecht. Weibsbilder haben zu parieren, sonst …« Er illustrierte den Rest des Satzes durch eine imponierende Luftohrfeige.
    Die Genossen sprangen entrüstet auf. Ich beruhigte sie mit Mühe und erzählte ihnen ein langes Kapitel über die Lebensgewohnheiten zwischen Mann und Weib in der alten Welt. Ich mußte allerdings zugeben, daß diese Art von Tyrannei zwar in der Ehe üblich, beim sogenannten Verhältnis jedoch nicht unbedingt herkömmlich sei. Im übrigen würde sich bei uns kein Mensch darum kümmern, wenn der eine Teil eines Liebesgespannes dem anderen einen Spaziergang verbieten wollte.
    Die sechs Genossen zu meiner Rechten, die offenbar als Verteidiger Heins fungierten, wiesen auf seine Unkenntnis der utopischen Sitten hin. Die sechs gegenüber, als Schützer der Gemeinschaft, machten dagegen geltend, er habe sich bei seiner Ankunft als Sozialist ausgegeben, und sie könnten sich nicht denken, daß sich irgendwo in der Welt jemand diesen Ehrennamen zulegen dürfe, der nicht die volle Willensfreiheit des Nebenmenschen anerkenne, soweit nicht Interessen der Gemeinschaft angetastet werden.
    Auch ich bekam meinen Hieb. In der gemeinwirt schaftlichen Gesellschaft, die keinen Einzelbesitz kennt, sei die Ehe mit ihrer Zwangstreue längst abgeschafft. Sie erziehe zur Verlogenheit im Handeln und Denken. Es sei völlig ins Belieben zweier Menschen gestellt, sich flüchtig oder für lange Zeit zu verbinden. Und gewiß seien auf dieser Grundlage Kameradschaf ten, die ein ganzes Leben hindurch dauerten, häufiger als glückliche Ehen in der alten Welt.
    »Aber die Kinder?« warf ich schüchtern ein.
    »Sind das heiligste Besitztum der Gemeinschaft«, antwortete ein alter Genosse. »Sie werden in den schönsten Jugendhäusern erzogen und bilden sich innerhalb ihrer Gemeinschaft heran. Die Mütter können die Neugeborenen bis zu zwei Jahren in den Säuglings-Pflegestätten selbst aufziehen. Später dürfen sie sich wochenlang in der Kindersiedlung aufhalten. Ebenso die Väter. Es gibt viele Eltern, die regelmäßig ihre Fe rien – zwei Monate im Jahr – in den Kinderparks verbringen. Freilich haben sie keine bestimmende Gewalt über die Kinder und gelten als gleichgeordnete Gefährten.«
    Da wußte ich ja nun über den Punkt, der mich so sehr beschäftigte, Bescheid und kannte meinen Weg.
    Völlige Verzeihung für Hein konnte ich nicht erlangen. Nach langer Debatte einigten sich die Dreizehn einstimmig auf Verbannung aus der Gemeinschaft auf eine Woche.
    Hein schüttelte betrübt den Kopf. Er verstand sein Vergehen nicht. »Acht Tage bei Vater Philipp«, seufz te er, gab sich einen Ruck und tröstete sich selbst mit der

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