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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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diskutieren.
    Er begrüßte mich freundlich und meinte scherzhaft, es könne mir nicht schaden, etwas aus der Praxis zu hören. Ich bejahte eifrig. Meine Augen aber suchten Jana. Sie saß inmitten der Kinder, selbst fast kindlich, und sammelte ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Wechselgespräch, das sich rasch und unbefangen zwischen »Lehrer und Schülern« entwickelte. (Ich merkte bald, daß dieser Ausdruck hier nicht am Platze war. Ein Erfahrener sprach mit weniger Erfahrenen, stets bereit,sich von der naiven Meinung der Jüngeren belehren zu lassen, wenn sie einen gesunden Kern enthielt.)
    Jana nickte mir nur flüchtig zu. – Und das schien mir etwas wenig.
    Alle Staatseinrichtungen, die die Arbeitergenossenschaft selbst betrafen – und von denen Noris sprach, fanden ungeteilt den Beifall der jugendlichen Hörer. Man hatte im vergangenen Jahr die allgemeine Pflichtarbeit auf vier Stunden am Tag herabsetzen können. Die Arbeitspflicht begann mit dem fünfundzwanzigsten Jahr und endete mit dem fünfzigsten. Der Staat sorgte für Wohnung, Speise und Kleidung, und zwar reichlich. Die Hauptproduktionsmittel waren in den Händen der Arbeiterunion ….
    Hier hakten die Jungen ein. In verschiedenem Zusammenhang tauchte immer wieder die Frage auf: Warum hatte die Arbeiterschaft bei der letzten und entscheidenden Revolution nicht alle Produktionsmittel an sich gebracht und den Stand der Kapitalherren vollkommen vernichtet? Wie kam es, daß dieser Stand, obwohl politisch entwertet und der Verwaltung des Arbeiterstaates unterstellt (und von ihm lächerlich gemacht), immer noch sein Leben fristen durfte und nicht einfach eingezogen wurde?
    Noris antwortete auf diese Fragen, die ihm sichtlich unangenehm waren, historisch.
    Die Arbeiterschaft, so führte er aus, habe damals noch nicht über genügend geschulte Kräfte verfügt, um die Handelsbeziehungen und Fabrikationsmethoden der Kapitalisten sofort zu übernehmen. Man habe mit ihnen paktieren müssen, um das Proletariat vor Hunger und Arbeitslosigkeit zu schützen. So wäre man gezwungen gewesen, ihnen gewisse Besitzvorrechte weiterhin einzuräumen, habe sie aber von der Staatsverwaltung ausgeschlossen.
    Das sahen die Jungen, wenn auch widerwillig, ein. Inzwischen aber hätte sich der Arbeiterstaat gefestigt und stelle eigene Leute an die verantwortlichen Stellen. Jetzt sei es an der Zeit, diese Vorrechte vollends abzubauen und den Besitzleuten anheimzustellen, entweder Mitglieder der Genossenschaft zu werden oder rechtlos das Land zu verlassen.
    Auch Jana sprach diese Ansicht aus. Das gefiel mir.
    Noris fühlte sich in die Enge getrieben. Wie ja bekannt sei, stehe er und die Mehrheit des Zentralrates auf dem Standpunkt, daß die historische Entwicklung die kleine Gruppe der Privatkapitalisten von selbst zerreiben werde. Man könne nicht einfach durch Fe derstrich die Verfassung beliebig ändern.
    Er könne sich nun einmal nicht zu der Ansicht von Joll und seinen Anhängern bekehren, daß der revolutionäre Ausnahmezustand so lange dauere, als überhaupt nur noch ein einziges Privatvorrecht bestehe.
    Die Jugend bekannte sich unverhohlen zur radikalen Gruppe. Noris schied von uns ohne Groll, aber bekümmerten Herzens. Man merkte ihm an, er hätte so gern überzeugen wollen, aber das junge Geschlecht verstand ihn nicht mehr, und das schmerzte ihn.
    Jana trat jetzt zu mir heran. Ich fühlte den kräftigen Druck ihrer kleinen, energischen Hand.
    Wir gingen über die Wiese nach dem Wäldchen zu. Niemand störte uns. Die Jungen hatten in ihrem feinen Kindergefühl gemerkt, daß wir allein sein wollten.
    Wir tauschten unsere Ansichten über die Rede von Noris aus. Ich teilte Jana die Befürchtungen Jolls mit. Sie hörte aufmerksam zu. Als ich von der Aufgabe sprach, die mir Joll vielleicht zuschieben würde, sah sie mich einen Augenblick von der Seite an. Es kam mir vor, als sei sie stolz auf mich. Jedenfalls nickte sie ernst und riet mir, sofort nach Utopolis aufzubrechen.
    Mit solchen Gesprächen hatten wir das Wäldchen durchquert und standen nun am Abhang des Hügels. In der Ferne schimmerte das Meer auf.
    Jana kehrte mir jetzt das Gesicht zu. Ich las einen leisen, doch guten Spott in ihren Augen. Dann sagte sie, ohne einen Übergang zu suchen:
    »Ich habe mir einige Bücher kommen lassen, die von den Lebensgewohnheiten der Menschen in der alten Welt handeln …«
    Ich fühlte, daß ich rot wurde, und ärgerte mich darüber. Jana lächelte und sprach weiter: »Wenn wir in

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