Utopolis
nicht an den Zuruf, winkte sich einen Heizer, der an der Laterne lehnte, heran und drückte sich an seine Schulter.
In Heins Faust sah ich plötzlich ein Messer blitzen. Wie besessen schreiend, sprang, flog er über die Sitzreihen hinunter zur Mitte, stach nach den schimmernden Lichtschemen, schlug um sich und brach ohnmächtig zusammen.
Man trug den Bewußtlosen hinaus.
9
Das Erlebnis in der Lichtspiel-Arena hatte Heins Ge müt umdüstert. Er stellte tiefsinnige Betrachtungen über die Treulosigkeit der Weiber an und schwur seinem Ne benbuhler fürchterliche Rache. Überhaupt fühlte er sich seit dieser Sache nicht mehr recht geheuer in Utopien. Er verwirrte Schein und Wirklichkeit, und das Wesen jener großartigen technischen Fata morgana wollte ihm nicht einleuchten.
Wir machten einen Spaziergang am Strand in der Gegend, wo wir uns als Schiffbrüchige gefunden hatten. Hein seufzte, daß sich die kleinen Strandpfützen kräuselten, und wünschte sich, mit den versunkenen Kameraden als Seegespenst in der Kajüte des Wracks »Meine Tante – deine Tante« zu spielen.
Über solchen Gesprächen wären wir beinahe über einen Körper gestolpert, der, halb in den Sand eingegraben, vor uns lag. Ein hübsches Köpfchen hob sich und blickte uns mit schlaftrunkenen Augen an. Dann kam Leben in die Gestalt. Sie sprang elastisch auf. Ei ne junge Frau in paradiesischer Unschuld. Ihre Körperformen waren Heins ungetreuer Kathrin nicht unähnlich.
Hein riß die Augen auf, sprang drei Schritt zurück, wehrte sich mit grotesken Handbewegungen gegen die Erscheinung und schrie: »Wieder so ’n verdammter Licht- und Luftquark!« Die junge Frau und ich mußten herzlich über sein Entsetzen lachen. Das wirkte offenbar so natürlich, daß der arme Teufel wieder Mut gewann, sich langsam näher schlich und mit zwei Fingern die Schultern der Schönen berührte, noch in Furcht, ins gespenstische Nichts zu greifen. Das war nicht der Fall. Hein begann aufzutauen und grinste sachkundig. Ohne Zweifel, das war Fleisch und Blut. Er überzeugte sich umständlich von dieser Tatsache, und die Frau lachte noch immer mit einem dunklen Schimmer in der Stimme.
Die Sonne brannte heiß und aus den nahen Gärten duftete es stark herüber.
Hein winkte mir hinter seinem Rücken einen dringlichen Abschied und sagte so obenhin: »Ich komme vielleicht erst morgen nach Hause, ängstige dich nicht, mein Junge.« Nun, ich ängstigte mich keineswegs, machte einen Kratzfuß, der leider nicht bemerkt wurde, und ging, mir eins pfeifend, langsam in die Stadt zurück.
Die Sache mit den geheimnisvoll von selbst lenkendenAutos fiel mir wieder ein, als ich einige leer an einem Parkplatz stehen sah. Ich wußte, daß sie der Arbeitergenossenschaft gehörten und daß jeder sie nach Belieben benutzen durfte. Aber wie man mit ihnen umgehen mußte, davon hatte ich keine Ahnung. Ich bestieg eins und besah mir den Mechanismus. An Stelle des Lenkrads fand ich eine Metallplatte, in die sehr fein und deutlich der Stadtplan eingeätzt war. Darüber einen nadelscharfen Zeiger. Kaum hatte ich diesen ein wenig verschoben, fuhr der Wagen an und jagte durch Straßen, die ich noch nicht kannte. Ebenso plötzlich hielt er. Ich erholte mich von meinem Schrecken und begriff, daß die Nadelspitze den Ort auf der Karte bezeichnete, an dem ich mich jetzt befand. Ich rückte sie an einen Punkt der Hafengegend, schon rollten wir und bogen nach wenig Minuten in die Seepromenade ein. Die Sache machte mir großen Spaß. Den ganzen Nachmittag fuhr ich kreuz und quer und war glücklich wie ein Junge, der ein großartiges Spielzeug gefunden hat. Das Wunderbarste daran war, daß der Wagen anderen Fahrzeugen auswich, vor belebten Kreuzungen plötzlich Halt machte, andere Autos passieren ließ und sich so benahm, als hätte er sämtliche nur denkbare Verkehrsvorschriften auswendig gelernt.
Abends im Quartier fragte ich meinen Nachbarn. »Das ist doch ganz einfach!« erklärte er. »Jeder Wagen hat vorn ein kleines Prismenauge, das auf lichtempfindliche elektrische Zellen wirkt. Auch an den Straßenecken kannst du diese elektrischen Augen sehen, sie sind unauffällig in die Hauswände eingelassen. Das sind gewissermaßen die Verkehrspolizisten. Durch wechselnde Spiegelreflexe regulieren diese mechanischen Augen Geschwindigkeiten und Lenkung.« Er würzte seine Erklärung mit fremdklingenden Fachausdrücken, die ich nicht verstand. Jedenfalls schien mir diese Einrichtung zwar einfach in
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