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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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kaum noch mit bloßem Auge erkennbar, »Hamburg«.
    Armer Hein, dachte ich, deine Kathrin wird noch manchen braven Seebären glücklich machen, bevor du ihr diesen Beweis deiner Anhänglichkeit verschämt in die Hände schieben kannst. Und dann wird sie das Ding am nächsten Vormittag im Raritätenladen von Bormann & Co. für fünf Mark versilbern, wo es ein Herr mit dicker Brieftasche für 20 Mark kauft, um seinen Lieben ein »charakteristisches Andenken« aus Hamburg heimzubringen.
    Wir setzten uns auf eine Bank unter einer Palmengruppe und plauderten. Ich schüttete Hein mein Herz in bezug auf Jana aus, daß ich sie liebte und das Gefühl hätte, auch von ihr geliebt zu werden – daß mir dennoch das rechte Wort nicht über die Lippen wolle. Hein hatte mir aufmerksam zugehört, während er einen Faden mit Pech verrieb. »Karl«, meinte er bedächtig, »wir sind Saukerls – und die Leute hier im Lande sind schon so was Ähnliches wie – nun – (er sah unsicher an mir vorbei) wie – Menschen, verstehst mich?«
    Ich verstand ihn.
    »In den paar Tagen«, fuhr er schwerfällig fort, »ha be ich so über das und jenes nachgedacht. Mit vier Jahren half ich Vatern beim Fische-Ausnehmen. Da ging die Schinderei los. Geld verdienen – sonst verhungerst du. In der Schule haben sie einem christliche Barmherzigkeit mit dem Rohrstock eingebläut, beim Militär haben sie von Kaiser und Vaterland gelogen. Das war schon zum ekeln. Und dann bist du drauf gekommen; wer die größte Fresse hat und sich um kein’ andern kümmert, der kommt durch, der schafft’s. Und siehst du, so wird man eben ’n roher Hund, säuft, nimmt die Mädels nich anders wie ’n Stück Priem und kommt sich als ’n Kerl vor, wenn man ’n andern paar Backzähne einhaut.«
    Er spuckte aus und schwieg.
    Joll kehrte zurück. Er ließ die Maschine am Strand, kam herauf und setzte sich zu uns.
    Aus seinem Gespräch klang Sorge. »Manche unse rer Geldleute zeigen über den ordengeschmückten Westen plötzlich stillvergnügte Gesichter«, sagte er, »sie haben irgend eine Schurkerei vor und ich kann sie nicht fas sen, weil sie mir die Beweise schuldig bleiben.«
    Ich meinte, ob es nicht möglich wäre, durch geschickte taktische Verhandlungen ihre Absichten aufzuspüren.
    Dieses Wort bereute ich, denn Joll wurde so böse, wie ich ihn später nie wieder gesehen habe. »Taktische Manöver sind Lügenspiele«, rief er, »man setzt Unwahrhaftigkeit ins Feld und gewinnt Betrug. So lange wir den geschickten Taktikern den Vorrang vor einfach denkenden und unbeugsamen Männern am Verhandlungstisch ließen, verloren wir elegant und lächelnd einen Posten nach dem anderen. Diese Zeiten sind zum Glück längst vorbei.« Er legte mir vertraulich die Hand auf die Schulter, zum Zeichen, daß er das Allgemeine und nicht mich persönlich treffen wollte. Damit verzog sich das Gewitter.
    Ich sprach meine Absicht aus, Utopolis, die Hauptstadt des Arbeiterstaates, kennenzulernen. Joll stimmte mir zu. »Mach die Augen auf, Karl«, sagte er ernst. »Vielleicht kannst du uns einen Dienst erweisen. – Hoffentlich«, fuhr er leichteren Tones fort, »plagen mich bloß Hirngespinste …«
    Wir verabschiedeten uns von Hein und sausten ab. Es dämmerte stark. Weit übers Meer leuchtete uns das rote Fanal der Hafenstadt Futura entgegen, die mir so rasch zur zweiten und besseren Heimat geworden war. Als wir über die gewaltigen, hellstrahlenden Häuserblocks dahinrasten, schien es mir unmöglich, daß eine dunkle Macht diesen Wunderbau bedrohen könnte.
    In leichten Spiralen ließen wir uns auf das Dach der Zentrale niedergleiten.
     
13
     
    Die Andeutungen von Joll beunruhigten mich mehr, als ich mir zugestehen wollte. Ich beobachtete schärfer als zuvor, was um mich vorging, konnte aber keine Veränderung wahrnehmen.
    Bevor ich mich nach Utopolis aufmachte, wollte ich noch Jana sehen und sprechen. Wenn ich an sie dachte, würgte mich eine dunkle Angst, als könnte ich sie verlieren, obwohl ich sie doch noch gar nicht gewonnen hatte.
    Schon am nächsten Morgen nach dem Besuch bei Hein zog ich in das Jugendlager.
    Ich fand alles unverändert und wurde mit Freudengeheul begrüßt. Man schleppte mich in den Unterrichtssaal. Dort, so hieß es, hielte der Genosse Noris vom Zentralrat einen Vortrag über die Verfassung der freien Arbeitergenossenschaft. Er verbrachte seinen Urlaub bei den Jugendgenossen, um ihnen Gelegenheit zu geben, über die politischen Arbeiten des Rates zu

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