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lag sie unter ihm, zumindest machte es den Anschein. In Wahrheit hätte sie in diesem Augenblick nirgendwo anders als in diesem Hotelzimmer sein wollen. Dieser gestählte Oberkörper, die Tätowierungen, die ihm das Aussehen eines wilden Stammeskriegers verliehen, und seine hemmungslose Art, sie zu nehmen, brachten sie fast um den Verstand.
Als Lucille kam, schrie sie ihre Lust heraus, schrie sie in seine Handfläche und krallte sich an seinen starken Armen fest, da er sich weiterhin in ihr bewegte, in diesem übersensibilisierten Fleisch zwischen ihren Schenkeln, bis auch er kam.
Noch in derselben Woche beging sie ihren zweiten und dritten Fehler.
Der erste bestand darin, sich Hals über Kopf in Richard zu verlieben. Allein der Gedanke, nach Boston zurückkehren zu müssen, in die Einsamkeit ihrer Wohnung und die Tristesse ihres Alltags, zerriss sie innerlich. Seine Zuneigung war wie Balsam für ihre Seele. Sie fühlte sich ihm so nah, da auch er in einfachen Verhältnissen aufgewachsen war und das geschafft hatte, was Lucille noch erreichen wollte: es zu etwas bringen, aus eigener Kraft.
Doch bisher hatte sie auf ihre Bewerbungen nach dem Studium nur Absagen kassiert und würde weiterhin im Café arbeiten müssen. Kein anspruchsvoller Job, keine Liebe. Sie bewunderte Richard! Und sie fühlte sich wohl bei ihm, beschützt und geliebt.
In den darauffolgenden Tagen trug er sie auf Händen. »Meine Göttin« nannte er sie. Noch nie hatte irgendjemand solch ein Kosewort für Lucille ausgewählt! Das erste Mal in ihrem Leben fühlte sie sich geschätzt.
Doch die Verliebtheit allein wäre nicht so schlimm gewesen. Lucille wäre darüber hinweggekommen. Allerdings machte sie den gravierendsten aller Fehler, aus einer Laune heraus, aus Verzweiflung, aus Naivität, da sie im Rausch der Lust – Richard schlief mehrmals täglich mit ihr – Sex mit Liebe verwechselte und weil ihr Leben schon immer Haken geschlagen hatte, zum Beispiel, als die Behörden sie mit fünf Jahren von ihrer Mutter wegholten, und später, als sie sich mit achtzehn Jahren von ihren Pflegeeltern losgesagt hatte.
Nun, mit vierundzwanzig, nahm Lucille Blunt eben Richards spontanen Heiratsantrag genauso spontan an, um sich zum dritten Mal in ihrem Leben neu zu erfinden, und mit der Hoffnung, endlich ein Zuhause gefunden zu haben.
Wie es weitergeht, erfahren Sie in:
Sandra Henke
Jenseits aller Tabus
Roman
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