Vaclav und Lena
jeden Abend tut, weil nichts sich geändert hat, auch wenn sich etwas geändert hat.
Vaclav muss die Hausaufgaben zusammenpacken und wegräumen, und ihm ist schrecklich zumute. Er hat mit den eigenen Hausaufgaben nicht einmal angefangen, und es ist bereits Essenszeit und unheimlich spät. Er begreift, dass die Zeit nicht mehr dafür reicht, die eigenen Hausaufgaben und Lenas fertig zu machen und danach für die Zaubervorführung zu proben.
Vaclav streift Lena, als er nach den Tellern langt, und Lena flüstert mit der Stimme einer bösen alten Katze: »Keine Hausaufgaben fertig, kein Proben, nichts.«
Und Vaclav versteht, dass er von jetzt an jeden Abend Lenas Hausaufgaben für sie machen wird, ohne ihr etwas beizubringen. Er wird ihr sagen, was genau sie in ihren Aufsätzen schreiben soll, er wird sich nicht einmal nach ihren Antworten erkundigen, zum Beispiel ob sie lieber Loyalistin oder Rebellin gewesen wäre, wenn sie damals gelebt hätte, und warum. Er wird alles einfach ohne ihre Mitwirkung für sie hinschreiben, und das ist notwendig, weil es das ist, was Lena will. Und was Vaclav will, ist was Lena will, weil sie VacLena sind, ohne Rest.
|71| Ein Gefühl der Sicherheit
Am nächsten Tag gehen Vaclav und Lena wie abgesprochen von der Schule heim. Vaclav läuft allein nach Hause, während Lena mit Marina und Kristina zum Haus ihrer Tante geht und so tut, als ginge sie hinein. Sie treffen sich an Vaclavs Haus, wo Lena nicht an der Tür klingeln muss, sie geht direkt hinein, durchs Wohnzimmer mit dem weichen Teppich und dem Riesenfernseher und schnurstracks in die Küche, wo Vaclav bereits eifrig an den Hausaufgaben sitzt, damit Zeit fürs Proben bleibt.
Lena stellt ihren Rucksack neben dem Küchentisch ab und geht zum Kühlschrank. Heute wird Vaclav ihre Hausaufgaben völlig allein machen. Heute werden sie für die Vorführung arbeiten. Sie wird sich nicht schuldig fühlen und sich nicht gemein vorkommen. Sie wird das Gefühl haben, ihre Hausaufgaben erledigt zu haben, mit Marina und Kristina befreundet zu sein und auch mit Vaclav, denn sie werden für die Vorführung proben. Vaclav erledigt die Hausaufgaben, sagt keinen Ton, bietet Lena keinen Snack an, sagt nicht Guten Tag. Aber das ist in Ordnung.
Heute ist Lena nach einem Snack zumute. Sie öffnet den Kühlschrank, nimmt einen String Cheese heraus, setzt sich an den Tisch neben Vaclav und isst nach und nach streifenweise Käse, während Vaclav über ihren Matheaufgaben vor sich hinmurmelt.
Vaclav verhehlt Lena nicht, wie schnell er die Arbeit macht, für die sie gestern Stunden gebraucht hat. Lena fühlt sich schlecht, dass sie Mathe nicht versteht, aber sie kennt dieses Gefühl. |72| Und dabei zuzusehen, wie er schnell erledigt, was sie nicht kann, ist beruhigend. Es gibt ihr das Gefühl, dass sie sich der Dinge sicher sein kann, ohne Fragen, ohne jeden Zweifel.
Ein Gefühl von Zuhause
Lena sitzt am Küchentisch, bis sie den ganzen String Cheese aufgegessen hat, dann wirft sie die Verpackung weg und nimmt ein großes Glas, füllt es mit Milch aus dem Kühlschrank, trinkt es in einem Zug leer, stellt es ins Spülbecken und holt ein Paket Wonder Bread aus dem Brotkasten, entnimmt drei Toastscheiben und isst gleich eine davon, indem sie bissgerechte Stückchen mit den Fingern formt, blickt dann suchend in den Kühlschrank nach etwas für ein Sandwich, gibt auf und bestreicht beide Toastscheiben dick mit Senf, klappt sie zusammen und setzt sich neben Vaclav an den Küchentisch und isst das Senf-Sandwich, während Vaclav weiter ihre Hausaufgaben macht, und nachdem sie das Sandwich gefuttert hat, steht sie auf, geht zum Kühlschrank, greift sich die Erdnussbutter, holt einen Löffel aus der Besteckschublade und bohrt ihn in die Erdnussbutter, nimmt sich einen Löffel voll und setzt sich neben Vaclav an den Tisch und leckt an der Erdnussbutter, isst alles auf, nimmt sich das Erdnussbutterglas wieder und höhlt es mit dem Löffel weiter aus, und diesmal isst sie die Erdnussbutter im Stehen und noch einen Löffel und noch einen, bis das Erdnussbutterglas |73| fast ganz leer ist, und dann hört sie, wie Rasia die Eingangstür öffnet, legt den Deckel rasch auf das Glas Erdnussbutter, ohne ihn ganz festzuschrauben, und stößt das Glas weit nach hinten in den Kühlschrank, setzt sich neben Vaclav und tut so, als wäre sie sehr interessiert an dem, was er macht, und nickt sogar.
Rasia hat eine Ahnung
Rasia hat gesehen, wie Lena vom Kühlschrank weghuschte.
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