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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haley Tanner
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Einen Augenblick wünscht er sich, er könne mit ihr gehen, aber es gibt für die Aufführung noch so viel zu tun.
    Vaclav nimmt die Arbeit an seinem Zylinder wieder auf. Zum Glück schien seine Mutter die hochgeheimen Vorbereitungen für die Vorstellung nicht bemerkt zu haben. Als sie ins Zimmer kam, hatte er einen Moment lang befürchet, sie würde verstehen, was er plante, und dann wäre die Show ruiniert gewesen.
    Erst als Vaclav eine halbe Stunde später dem furchtbaren Geruch aus der Küche nachgeht und den angebrannten Borschtsch auf dem Herd entdeckt, fällt ihm auf, dass seine Mutter noch nicht zurück ist.
    Oleg kommt heim, was bedeutet, dass es bald Zeit fürs Abendessen ist, aber Rasia ist immer noch nicht zu Hause.
    Vaclav ruft bei Lena an, aber niemand nimmt ab.
    Vaclav und sein Vater warten eine Stunde lang. Vaclav ruft noch einmal bei Lena an, wieder nimmt niemand ab. Er macht sich große Sorgen.
    »Wo ist Mama?«
    »Ich weiß es nicht«, sagt Oleg. »Was hat sie gesagt, als sie wegging?«
    »Sie hat gesagt, sie will sehen, wie es Lena geht.«
    »Dann wird sie das auch tun.«
    Später bringt Oleg zwei gleiche Suppentassen mit kaltem |131| angebranntem Borschtsch ins Wohnzimmer, und sie essen gemeinsam, während sie russisches Fernsehen gucken.
    Draußen ist es dunkel, und nichts ist so, wie es sein sollte, und Vaclav hat allmählich das Gefühl, dass etwas Furchtbares passiert ist. Oleg schickt Vaclav nicht ins Bett. Das kann bedeuten, dass Oleg ihn sehr gern hat, es kann aber auch bedeuten, dass Oleg ihn vergessen hat. So oder so, Vaclav hat das Gefühl, dass er unter diesen Umständen unmöglich schlafen gehen kann: Er vermisst Lena, er vermisst seine Mutter, und der große Tag der Zaubershow auf der Strandpromenade von Coney Island liegt nur Stunden entfernt.
    Am Abend vor der großen Show schläft der junge Zauberer erst sehr spät neben seinem Vater ein. Sein Gesicht ist an das schwarze Couchleder gepresst. Es wird von den russischen Sitcoms beleuchtet, die sein Vater im Satellitenfernsehen anschaut und die von weither ins Wohnzimmer kommen.
    Ein Augenblick von Zärtlichkeit
    Spät in der Nacht, so spät, dass es eigentlich schon Morgen ist, wacht Oleg auf. Er ist immer noch auf der Couch, und weil der Fernseher läuft und er und sein kleiner Sohn noch beide auf der Couch schlafen, weiß er, dass seine Frau noch nicht zurück ist. Wäre sie heimgekehrt, hätte sie ihn angeblafft und ihren Sohn ins Bett gesteckt und den Fernseher ausgemacht, und er, auf |132| seinem Weg durch den Flur ins Bett, um dort weiterzuschnarchen, hätte verärgert reagiert. Wäre sie nach Hause zurückgekehrt, hätte er so reagiert, als ob ihm die Unterbrechung etwas ausmachen würde, auch wenn sie ihm in Wahrheit nichts ausgemacht hätte. Er ist so traurig und einsam, als er auf der Couch vor dem Fernseher aufwacht und keine Frau ihn anblafft.
    Zuerst schaltet er den Fernseher aus, und dann tut er etwas, zu dem er seit Jahren nicht fähig gewesen war, etwas, das er vermisst hat, ohne sich dessen bewusst zu sein.
    Er nimmt seinen schlafenden Sohn hoch, trägt ihn auf dem Arm in sein Zimmer und deckt ihn zu.
    Insgeheim ist Vaclav wach. Aber auch er hat es vermisst, ins Schlafzimmer getragen zu werden, und so spielt er den Schlafenden.
    Der Tag der Show
    Ihr Mann bricht gerade eilig zur Arbeit auf, als Rasia um fünf Uhr morgens von der Polizeistation nach Hause kommt.
    »Wo bist du gewesen?«, fragt er. »Ich hab mir Sorgen gemacht.«
    »Du kannst dir das nicht vorstellen   …«, sagt sie.
    »…   ich bin spät dran, wir reden später darüber.« Er küsst sie auf die Stirn und will schon zur Tür, aber dann hält er inne und küsst sie noch einmal.
    |133| »Es wird schon alles wieder gut«, sagt er und geht dann.
    Sie schaut nach ihrem schlafenden Sohn, um sich zu vergewissern, dass es ihrer Familie gut geht. Später, wenn er aufwacht, wird sie ihm berichten müssen, was mit Lena geschehen ist, und sie weiß nicht, was sie ihm erzählen soll, was sie an Schlimmem weglassen und an Gutem hinzufügen soll. Wenn Vaclav aufwacht, wird sie ihm Pfannkuchen machen, und sie werden miteinander reden.
    Rasia geht ins Schlafzimmer, zieht sich die Schuhe aus und ist im Nu auf der Decke eingeschlafen.
    Als sie aufwacht, ist es elf Uhr, so lange hat sie seit Jahren nicht mehr geschlafen. Sie rechnet damit, dass sie Vaclav mit einer Schale Cornflakes vor dem Fernseher antrifft oder in seinem Zimmer beim Proben seiner Zaubertricks.

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