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Vaethyr - Die andere Welt

Vaethyr - Die andere Welt

Titel: Vaethyr - Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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kurbelte ihr Fenster herunter und sprach einen Mann an, der neben dem Wagen stand. »Was tut sich da?«
    »Das weiß ich auch nicht«, erwiderte er fröhlich. Er erinnerte sie ein wenig an Alastair. »Da ist so ein Idiot, der sich als Hirsch verkleidet hat. Sind wohl diese Volksbräuche, in denen sich alles um Fruchtbarkeit dreht, oder?« Er zwinkerte ihr zu.
    Rosie grinste zurück. »Äh, ja. Danke.«
    Die Menge strömte nun durchs Dorf und folgte der Attraktion. Rosie hörte das Schlagen einer kultischen Trommel. Sam kroch noch ein paar Meter im Wagen hinter der Prozession her und bog dann in eine Seitenstraße ab, um den Wagen abzustellen. »Wir sind schneller zu Fuß«, sagte er.
    Die Abendluft war noch warm. Ein rosafarbener Streifen harrte noch am Himmel aus, doch das Licht schwand und er färbte sich schiefergrau. Am Anfang des Zugs funkelten Laternen und Fackeln.
    Dort, wo die Straße anstieg, wurde der Kopf der Prozession sichtbar. Rosie entdeckte an die dreißig grün kostümierte Tänzer. Angeführt wurden sie von einer Gestalt mit einem wuchtigen Geweih auf dem Kopf. Das Geweih zuckte und senkte sich, offenbar steckte ein verrückter Schamane darunter. Dieser Kerntruppe folgte ein lockeres Grüppchen von etwa hundert Leuten, ebenfalls meist grün gewandet, Elfenwesen, dem leichtfüßigen, mühelosen Gang nach zu urteilen.
    Die Masse der menschlichen Feiernden rannte hinterher, um sieeinzuholen. Weiter vorne säumten Zuschauer die Straße. Sie hörte die hellen Töne eines Horns.
    »Sie jagen ihn«, sagte Sam. Er und Rosie fingen ebenfalls zu rennen an. Das Geschehen löste eine Erinnerung in ihr aus, die sie aber nicht einordnen konnte. Wohl an ein jahrhundertealtes Ritual mit verborgener Absicht.
    Der Tanz der Tiere sah jedes Jahr anders aus, aber normalerweise bewegten die Tänzer sich in einem Kreis ums Dorf, um dann auf der Wiese die Aufführung zu Ende zu bringen. Häufig gab es einen närrischen theatralischen Höhepunkt. Doch diesmal bog die Prozession an der Gabelung nach links ab, in die Straße, die nach Oakholme und somit aus dem Dorf hinausführte. Die Menschen im Gefolge wurden langsam müde und stiegen nach und nach aus.
    Rosie warf einen Blick in die Fenster von Oakholme, als sie daran vorbeikamen. Nur in Matthews Zimmer brannte Licht. Doch die Prozession zog weiter. Dort oben kam nichts mehr, es gab keinen Grund, so weit zu gehen. Sie schielte zu Sam, aber der zuckte nur verdutzt mit den Schultern.
    »Sind die betrunken?«, wunderte sie sich. Doch die Mitwirkenden waren alles andere als frivol und ausgelassen. Sie bewegten sich mit ernsthafter Entschlossenheit. Als sie Jagdschreie ausstießen, klangen diese roh, brutal und wild. Wieder ertönte das Jagdhorn.
    »Sie ziehen hinauf nach Stonegate«, sagte Sam.
    Das Dämmerlicht tauchte die Landschaft in schauriges Dunkel. Die Jagd nahm immer mehr die Züge eines Stammesritus an. Das Hirschopfer taumelte und schwankte in Trance. Die Jäger verfolgten es in wilder Erregung wie Hunde, die Witterung aufgenommen hatten, und gingen darin auf. Sapphire gehörte dazu – sie war besessen, befand sich auf einer anderen Bewusstseinsebene, wo sich alles nur auf ihr gemeinsames Ziel hin fokussierte.
    Selbst die Menschenwesen, die noch folgten, wurden in diesen Bann gezogen, ohne zu wissen, wie ihnen geschah. Ihre anstachelnden Rufe waren aggressiv. Denn auch die Dörfler hatten weiß Gott keinen Grund, Lawrence zu lieben. Derselbe dunkle Bluthunger hatte alle angesteckt.
    Der Hirsch schien erschöpft zu sein. Er taumelte unter dem Gewicht der Tierhaut auf seinen Schultern und der Geweihkrone. Wieder und wieder trieb er sich mit neuer Energie an, rannte und schlug Haken, um dann wieder zu stolpern. Das Jagdhorn ertönte und trieb ihn gnadenlos vorwärts. Die Beute durfte nicht zu früh fallen. Sapphire klopfte das Herz bis zum Hals, als es den Anschein hatte, er werde mitten auf der Einfahrt zusammenbrechen, aber der Kopf mit dem Geweih erhob sich wieder und kämpfte sich weiter voran.
    Dort auf den Stufen vor dem Doppelportal von Stonegate Manor: Da würde alles ein Ende finden.
    Lucas hielt sich im Wintergarten auf dem Dach auf und presste seine Stirn gegen die Scheibe. Das Ereignis auf dem Dachboden hatte ihn aufgewühlt zurückgelassen. Er war noch einmal hochgeschlichen, hatte aber niemanden dort angetroffen. Jetzt traute er sich nicht mehr dorthin zurück, aus Angst vor dem, was er vorfinden oder nicht vorfinden könnte. Hatte er sich in eine

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