Vaethyr: Die andere Welt
irgendwo manifestieren können, die Spirale aber eine völlig separate Dimension darstellt … so was in der Art. Sie nickte daraufhin und meinte, das hätten Lawrence und Jon ihr auch erzählt.«
»Dann wollte sie also überprüfen, ob sie nicht angelogen worden war? Warum vertraut sie ihnen nicht?«
Er zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Wir haben doch nichts zu verbergen, oder? Ich habe ihr nur die Wahrheit gesagt.«
»Und schien sie sich damit zufriedenzugeben?«
»Nicht wirklich, aber ich hätte nicht gewusst, was sie sonst noch hören wollte. Eigentlich müsste Lawrence ihr doch alles erzählen können, was sie wissen möchte?«
»Genau«, sagte Rosie. »Worauf also will sie hinaus? Stellt Fragen … macht hinter Lawrence’ Rücken mit ihrem eigenen Stiefsohn herum …«
Sie verfiel in Schweigen, bis Lucas sagte: »Ich halte das nicht aus, dich so verletzt zu sehen, Ro. Lieber sehe ich Jon nie mehr in meinem Leben, als dich gegen mich aufzubringen. Du hast recht, ich sollte mich eine Weile von ihm fernhalten. Und das werde ich auch, ich verspreche es dir.«
Bei allem Elend, das sie bedrückte, war das eine willkommene Erleichterung. Sie wandte sich ihm zu und umarmte ihn. Aber eigentlich hätte sie das gar nicht erstaunen dürfen, denn schließlich war das der gute, loyale Lucas.
»Bedingungslose Liebe ist ein Hirngespinst«, sagte Rosie zu ihrem Spiegelbild, »bedingungslose Liebe ist eine Lüge , die dir vorgaukelt, dass du jemanden aus der Ferne lieben kannst, jemanden, der deinen Blick niemals auch nur erwidert und dass es in Ordnung ist; dass es rein, tugendhaft und edel ist. Aber es ist eben nicht okay. Es ist ein verdammtes Hirngespinst!«
Sie war dreiundzwanzig, im perfekten Alter, endlich erwachsen zu werden.
Rosie fand, dass sie es am Ende ganz gut hinbekommen hatte. Schließlich hatte sie, was Jon betraf, mittlerweile jede Menge Übung. Sie saß vor ihrem Spiegel und betrachtete die Narbe, die Sam auf ihrem Hals hinterlassen hatte, wohl wissend, dass es an der Zeit war, das geliebte Oakholme und die Träume von Elysium hinter sich zu lassen.
»Worauf warte ich noch?«, fragte sie sich.
Geistesabwesend lackierte sie sich ihre Fingernägel mit der dunklen Regenbogenfarbe des Zeitgeist-Nagellacks, als Lucas hereinkam, dem die Sorge auf den Nägeln brannte, ob sie ihm verziehen hatte. Sie unterhielten sich über die Vergangenheit, über Jon und Sam und Lawrence, und dabei drehte es sich vor allem darum, sich von allem zu lösen und stattdessen Matthews Perspektive eine Chance zu geben.
»Die Wilders …«, sagte sie matt. »Was meinst du, werden wir jemals ganz von ihnen frei sein?«
Und Lucas erwiderte darauf: »Willst du das denn?«
Ja, ja ich will es , überlegte sie, nachdem Luc gegangen war. Es ist an der Zeit. Ich befinde mich an einem Scheideweg und muss mich für den Weg entscheiden, der mich weiterbringt – und ich werde diesmal meinen Verstand einsetzen und nicht mein dummes Herz.
Natürlich würde sie Sam auch weiterhin besuchen – aber wenn er erst mal entlassen war, könnte sie auch das hinter sich lassen und stattdessen mit weit geöffneten Armen auf die Menschenwelt zugehen.
Das kleine gerahmte Foto, das sie in der Hoffnung eingesteckt hatte, es sei eins von Lawrence und Virginia, entpuppte sich als Hochzeitsfoto von Lawrence und Sapphire. Das würde Sam ganz sicherlich nicht sehen wollen. Als sie die Rückseite abnahm, fand sie ein anderes Foto in Passbildgröße von einer sehr viel jüngeren Sapphire mit einem älteren Mann – zweifellos irgendein Sugardaddy. Seufzend setzte sie den Rahmen wieder zusammen und warf ihn ganz hinten in ihre Schublade. Eheglück, in der Tat.
Dann ließ sie ihre Gedanken zu Alastair wandern. Wenn sie an ihn dachte, fühlte sie keinen Schmerz, nur Wärme. Sein freundliches Wesen und seine Beständigkeit … hier würde das Heimkommen Freude machen. An seine kräftige Rugbyspielerfigur hatte sie sich gewöhnt, und der Sex mit ihm war gut. Gewiss, wilde Leidenschaft oder fantasievolles Liebesspiel sah anders aus, aber das war in Ordnung, das entsprach nicht seinem Naturell. Ihr Liebesleben war zärtlich, kameradschaftlich und befriedigend und mehr konnte man nicht erwarten. Sicher, er konnte manchmal auch mürrisch sein, aber Macken hatte jeder, doch es brauchte schon einiges, um ihn zu reizen, und seine seltenen Wutausbrüche waren schnell wieder vorbei. Kurz gesagt, er war wunderbar normal. War Jon ein qualvoller, dorniger Pfad, so
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