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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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Haar.
    Rosie sah wie gebannt zu, als sähe sie einen Film an. Die Zeit schien stillzustehen. Sie sah, wie Sapphire näher kam und ihm einen Kuss auf die Wange gab, der mütterlich hätte sein können … bis ihre rechte Hand seinen Kopf von hinten umfasste und er seine verschränkten Arme löste und seitwärts hängen ließ … nein, nein …
    Es gab keinen Zweifel, sie küssten sich.
    Sapphire presste sich an seinen Leib. Jons Hände ruhten leicht auf ihren Hüften.
    Rosie stand hinter dem Schleier aus Glas und verfolgte das Geschehen so gebannt wie den Höhepunkt eines Horrorfilms. Sie glaubte sich übergeben zu müssen. Als sie Lucas an ihrer Schulter ein- und ausatmen hörte, wäre sie vor Schreck fast aus der Haut gefahren.
    »Oh, Scheiße «, sagte er lapidar.
    Rosies Kopf fuhr herum und sie sah, dass ihr Bruder sie mit großen Augen anstarrte, die ihr inneres Erschrecken widerspiegelten. Keiner von beiden brachte ein Wort heraus. Schließlich unternahm er einen schwachen Versuch, sie am Arm wegzuziehen, und sagte: »Nicht hinsehen, Ro.«
    »Genau, weil es dadurch ungeschehen gemacht wird?« Sie kehrte dem Fenster den Rücken zu. Ihr Herz schlug heftig. »Bitte sag mir, dass sie nicht mehr machen.«
    »Tun sie nicht.« Lucas stieß die angestaute Luft aus. »Sie kommen aufs Haus zu.«
    »Wusstest du davon?«, fragte sie angespannt.
    »Was?« Sein Gesicht nahm die Farbe von Porzellan an. »Natürlich nicht! Sehe ich etwa so aus, als wüsste ich es?«
    »Du verbringst so viel Zeit mit ihm und er hat es nie erwähnt? Sie holte schaudernd Luft und lachte dann. »Das ist großartig, nicht wahr? Gestörter kann eine Familie wohl nicht mehr sein.«
    »Ich schwöre dir, ich hatte keine Ahnung. Vielleicht ist es bloß … was Einmaliges.«
    »O ja, denn wer hätte seiner Stiefmutter nicht schon mal einen Zungenkuss gegeben? Körpersprache, Luc. Das war nicht das erste Mal.«
    Lucas sah sie hilflos an. »Was sollen wir jetzt tun?«
    »Nichts«, sagte Rosie. »Lass uns gehen.«
    Wie Diebe traten sie den Rückzug an. Doch es war zu spät. Als sie die Küche betraten, kam Jon gerade durch die Hintertür und zuckte bei ihrem Anblick zusammen wie ein nervöses Hengstfohlen. »Oh, hi«, sagte er. »Wusste gar nicht, dass ihr hier seid. Hi Rosie.«
    Im Durchgang hinter ihm sah Rosie Sapphire ihre Gartenstiefel ausziehen. »Hallo meine Lieben«, sagte sie fröhlich über Jons Schulter. »Was für eine reizende Überraschung. Tee?« Sie schob Jon aus dem Weg – Rosie schauderte, als sie ihre Hände auf ihm sah – und ging quer durch den Raum auf den Wasserkessel zu.
    »Nein, lassen Sie, wir bleiben nicht«, sagte sie rasch.
    »Oh! Ihr könnt doch nicht gleich wieder gehen.«
    »Wir haben gedacht, es sei keiner da«, sagte Lucas.
    »Wir haben nur ein paar Sachen im Garten gemacht«, sagte Sapphire munter. »Es kommt selten genug vor, dass ich es schaffe, Jon ins Freie zu locken.«
    »Das glaube ich gern«, sagte Rosie kaum hörbar. »Eigentlich muss ich Mr Wilder sprechen. Ist er hier?«
    Rosies brüsker Ton verblüffte Sapphire. »Nein, er ist in London. Kann ich helfen?«
    »Ja, Sam bat mich um ein Foto von Virginia«, sagte Rosie ruhig.
    Die beiden starrten sie so erschrocken und blass an, dass Rosie wider Erwarten leichtes Spiel zu haben schien. »Äh, ja, kein Problem«, sagte Jon. Er ging an den Küchenschrank und holte fast umgehend eines heraus; es war ein Foto im Postkartenformat von einer lächelnden Frau mit bleicher Haut, rabenschwarzen Haaren und mehreren Bändern mit Türkisen um den Hals.
    »Danke«, sagte Rosie. Dass seine Finger die ihren streiften, als sie es entgegennahm, ignorierte sie. Jons Gesicht war bleich, die Pupillen geweitet, das herbstfarbene Haar zerzaust, aber immer noch dicht und seidig wie eh und je. In ihr ruhte das geronnene Wissen, dass er mit Mel geschlafen hatte, und alles übrige. Wie konnte es sein, dass er gleichzeitig so ungesund und so herzzerreißend schön aussehen konnte? »Ich dachte, du willst vielleicht hören, wie es Sam geht, falls es dich überhaupt interessiert.«
    Ihre Worte waren schal und voller Verachtung. Zum ersten Mal machte Rosie die Erfahrung, dass ihre Enttäuschung über ihn in Wut umschlug. Zum ersten Mal sah sie Jon an und empfand nicht Liebe, sondern Hass.
    »Du tust mir unrecht«, sagte er und zog die Stirn kraus. »Natürlich interessiert es mich.«
    »Ach ja?« Sie verschränkte ihre Arme und ließ ihn nicht aus den Augen. »Dein Interesse ist so groß, dass

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