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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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empfand sie die von Alastair verkörperte breite, offene Straße als zunehmend erstrebenswert. Er war in ihrem Leben so sehr zum Fixpunkt geworden, dass sie sich eine Zukunft ohne ihn gar nicht mehr vorstellen konnte.
    Am nächsten Tag öffnete Rosie ihr Schlafzimmerfenster und lehnte sich hinaus, um sich an dem schimmernden frischen Frühlingsgrün zu laben. Sie fühlte sich ganz merkwürdig: taub, gefühllos, verlassen. Doch ohne Schmerz. Das war gut. Es war fast ein angenehmes Gefühl, ein Loslassen, Sorglosigkeit, Sich-treiben-Lassen.
    Zeit für einen Neuanfang.
    Doch es war schwer, das Bild zu vergessen, in das sie sich verliebt hatte: Jons seelenvolle Augen, sein scheues Lächeln und das fließende Haar. Die Vision von ihm in der frühen Morgensonne mit zurückgeworfenem Kopf und wehendem Haar.
    Was Jon getan hat, zählt nicht , sagte sie sich. Es gibt nur eins, was du wissen musst, und zwar, dass er dich nicht haben will. Nicht weil etwas mit dir oder mit ihm nicht stimmt, sondern weil er die Welt anders wahrnimmt, das Seelenlicht in dir nicht erkennt, die leuchtende andere Hälfte seines Selbst.
    Jon hat mir nicht das Herz gebrochen.
    Meine Fantasien haben es gebrochen.
    Matthew hatte recht. Die Anderswelt war tot. Die Tore verschlossen, verlassen, der Schlüssel verrostet und weggeworfen. Vaethyr waren schöne Hülsen, kalt, närrisch und innen leer. Menschen waren warm und ungefährlich. Sie würde ihre Fantasien wegpacken und sich auf die sichere Seite schlagen.
    Wenn Alastair ihr das nächste Mal die entscheidende Frage stellte, würde er sich auf einen Schock gefasst machen können.
    Eines Abends im Juli – gute drei Monate nachdem Rosie ihm von ihrer Verlobung mit ihrem menschlichen Freund erzählt hatte, eine Nachricht, auf die er jedoch weitgehend gleichgültig reagiert hatte – fuhr Lawrence in der sommerlichen Abenddämmerung nach Hause, in Gedanken noch immer bei seinem unangenehmen Besuch in London. Es war ihm nicht leichtgefallen, eine zuversichtliche Miene aufzusetzen und den Mitarbeitern zu erklären, dass die Albinitvorräte erschöpft waren. Die Stimmung war schlecht. Es gab andere Edelsteine – aber wenn es den einen, der Wilder Jewels so einzigartig gemacht hatte, nicht mehr gab, war es da überhaupt sinnvoll, weiterzumachen?
    Als er um die letzte Kurve bog, bremste er erschrocken angesichts der riesigen Menschenmenge, die am Eingang von Stonegate Manor die Straße blockierte. Er hupte, aber sie sahen ihn nur an. Weil er die Geduld verlor, stieg Lawrence aus, um zu protestieren, sah dann aber, dass er es mit lauter Vaethyr zu tun hatte.
    Als er zwischen ihnen hindurchschritt, tauchte er unbeabsichtigt in die Schattenreiche ein, die den versammelten Vaethyr wie eine Aura anhafteten und ihre Anderswelt-Gestalten offenbarten: elegant, mit Juwelenaugen, manche mit dem Ansatz von Ranken oder hauchdünnen Flügeln. Ihr Haar war lebendiges Licht. Während sie sich ihm näherten, richteten sie ihre stechenden Augen auf ihn, und der hohe emotionale Druck, unter dem sie standen, schwappte in einer Welle auf ihn zu.
    Steif blieb Lawrence stehen und beobachtete sie. Einige trugen Masken, andere zeigten ihre Gesichter, aber er kannte sie alle. Es waren nicht nur Einheimische, sondern auch einige, die er schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. In der Mitte der Einfahrt, zwischen den beiden Wachposten aus Granit, stand ihr Anführer: Comyn. Zu seinen Füßen lag ein schwarz-weißer Hütehund, dessen Schnauze hoch zu seinem Herrn zeigte.
    »Was zum Teufel soll das hier?«, fragte Lawrence.
    »Das ist ein friedlicher Protest«, antwortete Comyn milde. »Es ist der siebte Tag des siebten Monats im sechsten Jahr. Eine Erinnerung daran, dass im siebten Jahr die Nacht der Sommersterne stattfindet.«
    »Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Genauso, wie ihr wisst, dass ich die Tore nur öffnen werde, sofern daraus keine Gefahr erwächst.«
    »Dann sorg dafür, dass dem so ist.«
    »Entfernt euch von meinem Grund, bevor ich meine Disir rufe.«
    »Wir befinden uns nicht auf deinem Grund«, erwiderte Comyn. »Wir befinden uns auf einer öffentlichen Straße.«
    »Ihr behindert mein Wegerecht. Löst eure Versammlung auf.« Lawrence zitterte vor Wut ob seiner Machtlosigkeit. Als er seinen Blick über die Menge schweifen ließ, sah er die rothaarige Peta Lyon und ihre Schwestern, die Tullivers mit ihren Seeschlangenmasken … aber von Auberon Fox war nichts zu sehen. Der wollte mit dieser würdelosen

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