Vaethyr: Die andere Welt
konnte.«
»Und dich erneut zudröhnen konntest«, meinte Luc trocken.
»Mit Mel lief das gar nicht so, wie ich es mir erhofft hatte«, sagte Jon traurig. »Ich dachte, sie könnte mich retten, aber das konnte sie nicht. Das hätte in tausend Jahren nicht funktioniert. Sie würde an mir nicht mal ihre Schuhe abwischen.«
»Ja, ihr seid so verschieden wie Tag und Nacht …«
Jon grinste verbittert. »Drogen sind einfach besser als Sex. Der Genuss hält länger an und sie beklagen sich auch nie, dass du sie nicht angerufen hast.«
»Das Traurige dabei ist, dass du es ernst meinst«, sagte Lucas. »Außerdem ist es unglaublich schwer sein, eine Freundin zu finden, wenn man entweder halluziniert oder bewusstlos ist. Das weiß ich dank dir.«
Jon streckte seinen Arm aus und berührte seine Wange. »Du hast nichts mit mir gemacht, was du nicht selbst wolltest, Luc.« Er ließ seine Hand sinken. »Was mir allerdings den Rest gab, ist Sapphires Suche nach elfischer Erleuchtung. Es war, als versuchte sie, sie aus mir herauszusaugen. Alles Kostbare, was ich mit dir geteilt habe, wurde bei ihr zu einer grauenhaften Parodie. Aber ich halte sie bei Laune, denn jedes Mal wenn ich Nein sage, droht sie mir damit, Lawrence alles zu erzählen.«
»Aber wie will sie es ihm erzählen? Sie würde sich selbst doch damit genauso ruinieren wie dich.«
Er atmete zitternd aus. »Sie kennt keine Angst und ich habe mehr zu verlieren. Sie findet leicht einen anderen Ehemann, sagt sie. Aber ich niemals einen anderen Vater.«
Jon sprang auf und machte sich wieder auf die Suche nach Pflanzen – eine langgliedrige Silhouette im blauen Dunkel. Lucas folgte ihm. »Jon«, sagte er, »wir sind immer noch Brüder, oder? Wir können gemeinsam stark sein.«
Jon blieb stehen und fixierte ihn mit seinem durchdringenden fordernden Blick. »Ich brauche dich mehr denn je, Luc. Ich wünschte, du hättest mich nicht verlassen, als wir so kurz davor waren, die Tore zu öffnen.«
»Wir waren nie kurz davor!«, rief Lucas aus. »Alles, was wir hatten, waren Halluzinationen. Wir konnten die Tore nicht einen Millimeter öffnen.«
»Das ist nicht wahr. Deine Visionen waren echt. Deshalb hast du auch aufgehört – war es, weil du Angst hattest?«
»Ich habe keine Angst! Doch ich denke, dass Matthew recht hat und wir das auf sich beruhen lassen sollten. Es soll nicht sein.«
Jons Augen glühten in diesem schaurigen Licht fast wie rote Kohlen. »Das ist doch nicht zu fassen, dass du das jetzt auch so siehst. Was ist denn nur mit euch allen los? Ihr verheddert euch in der Oberflächenwelt mit Heiraten und Geschäften, anstatt euch auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt. Dein Onkel Comyn hat recht. Die Anderswelt zu öffnen, ist das Einzige, was uns retten kann!«
Er sprach mit so viel Leidenschaft, dass Lucas seine eigenen Überzeugungen verlor. Und wenn Jon nun recht hatte? Er versuchte eine andere Weltsicht einzunehmen, in der Matthew, Auberon, Rosie und selbst Lawrence die Traumtänzer waren, weil sie Elysium verloren gaben, wohingegen allein Jon und Comyn die Flamme am Leben hielten. Und diese Vorstellung war so beängstigend, dass sie wahr sein konnte.
Jon fuhr fort: »Stell dir vor, du hättest hinter die Tore geschaut und dort einen wunderbaren Garten gesehen und man hätte dir dein ganzes Leben lang versprochen, diesen eines Tages betreten zu dürfen … Aber wenn der Zeitpunkt dann endlich gekommen ist, dreht man dir eine lange Nase und erklärt, oh, tut uns leid, wir vergaßen zu erwähnen, dass dort Wölfe und Löwen frei herumstreifen, deshalb kannst du nun doch nicht dort hinein. Nie mehr. Das können wir uns doch nicht gefallen lassen.« Er legte seine Hand auf Lucs Schulter. »Wir dürfen nicht zulassen, dass sie unseren Traum zerstören.«
»Aber wir haben es versucht und sind gescheitert.«
»Nein. Wir haben noch nicht mal richtig angefangen. Sind die Tore erst mal offen, kann alles wieder heil werden. Du hast es doch gesagt, wir sind Brüder, gemeinsam sind wir stark. Bist du auf meiner Seite?«
Lucas spürte, wie die Welt aus den Fugen geriet. Er liebte Jon, musste ihm glauben, wollte ihn von ganzem Herzen retten. Und Jons Leidenschaft war so überzeugend und ansteckend wie eh und je und verfehlte nicht ihre betörende Wirkung. »Ja, voll und ganz«, sagte Luc mit einem Seufzer. »Das versteht sich von selbst.«
»Ohne dich bring ich nichts zustande. Jetzt, da du hier bist, können wir Wunder vollbringen.«
Das Zwielicht
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