Vaethyr: Die andere Welt
seiner schmalen Hüften auf ihr. Die Erinnerung ließ sie seufzen und sich rastlos herumwälzen. Oh, diese brennende Erregung, ihn in sich zu haben.
»Ich bin so glücklich, Rosie«, hatte Alastair gesagt, als sie tanzten, und dabei strahlte sein argloses Gesicht. »Endlich habe ich den Platz gefunden, wo ich hingehöre.«
Als sie schließlich doch einschlief, träumte sie, über ein offenes Berggelände zu laufen, begleitet von einer Schattengestalt. Sie wusste, dass es Sam war, und sie rannten beide wie Wölfe durch einen lichten Regenguss. Die Traumbilder waren verzerrt, als würden sie auf eine schräg stehende Leinwand geworfen, und beherrschten die Nacht mit ihrem Glitzern aus Schatten und Licht.
~ 12 ~
Die Feuerkönigin
Lucas wanderte über die High Warrens, wo sich Sedimentgestein durch den Farn schob und die tiefer gelegenen Hänge dicht mit Eichen und Kastanienbäumen bewaldet waren. Hier war er oft mit Jon hergekommen. Es war ihr Platz.
Er folgte einem Pfad durch die Bäume in ein verborgenes Tal mit einem steilen, hufeisenförmigen Abhang auf der einen und einer trockenen, mit Birken und Dornenranken bewachsenen Felswand auf der anderen Seite. Es war Ende November, ein Tag, dessen zarte Nebelschleier von schwachem Sonnenlicht vergoldet wurden. An den Ästen hingen die letzten Blätter und woben ein gelb-rotes Spitzenmuster.
In halber Höhe des Hangs sah er eine geisterhafte Gestalt. Sie schien sich über knorrige Wurzeln zu beugen und um umgestürzte Baumstämme zu huschen, die mit Pilzen überkrustet waren. Lucas spürte den Wechsel der Oberflächenwelt in die Schattenreiche. Wie er diesen Übergang vollzog, hätte er nicht sagen können, denn er war so natürlich wie Gehen. Als würde ein Schleier weggezogen, vertiefte sich das Licht königsblau, Bäume und Sträucher leuchteten ultraviolett. Der Geist bekam eine feste Form und wurde zu Jon.
Als Jon ihn sah, richtete er sich auf und winkte. Über hautengen Jeans trug er eine braune Samtjacke, die er schon seit Jahren besaß, und an seinem Arm hing ein altmodischer Weidenkorb. »Endlich«, sagte Jon. »Wo bist du gewesen, verdammt?« Lächelnd blieb er stehen, sein Haar umwehte seine Schultern, und er wartete, bis Lucas zu ihm hochgeklettert war. Er sah so ätherisch aus wie ein schöner Schwindsüchtiger. »Ich dachte, du redest nicht mehr mit mir.«
»Tu ich auch nicht«, konterte Lucas.
»Warum suchst du dann nach mir?«
»Tu ich nicht.«
Jon nickte. »Dann ist es also Zufall, dass du einen Ort aufsuchst, an dem wir uns immer gemeinsam herumgetrieben haben?«
Seufzend senkte Lucas seinen Blick auf seine Turnschuhe und versuchte sich ein Lächeln zu verkneifen, weil ihm das wie ein Verrat an Rosie vorgekommen wäre. »Okay, ich hatte gehofft, dich hier zu finden. Ich fand, es ist an der Zeit, Frieden zu schließen.«
»Meinetwegen gern. Ich habe nie verstanden, warum wir uns überhaupt entzweit haben.«
»Ich denke schon, dass du das weißt«, sagte Lucas. »Rosie hat herausgefunden, dass du dealst.«
»Es waren doch nur ein paar Pilze!« Jon verdrehte die Augen. »Ich weiß nicht, warum sich darüber alle so aufregen.« Er setzte langsam seinen Aufstieg fort und suchte das feuchte Gras ab.
»Und alles andere«, sagte Lucas, der ihm folgte. »Damit haben wir die schlimmsten Leute um uns geschart, bis Sam deswegen im Gefängnis landete.«
Jon warf Lucas einen finsteren Seitenblick zu. »Immer wenn uns jemand angreift, verliert Sam die Kontrolle. Er geht immer zu weit, aber das ist doch nicht wirklich meine Schuld. Du weißt doch, wie schlecht ich mich gefühlt habe.«
»Also, ich musste weg von dieser Szene. Und du solltest das auch.«
»Hab ich schon getan«, erwiderte Jon eisig.
»Hör zu, sie ist meine Schwester. Sie hat mir nicht verboten, dich zu sehen, aber wenn ich es getan hätte, wäre sie sehr enttäuscht gewesen. Ich habe mich ferngehalten, weil ich sie liebe, nicht, weil ich dich nicht mag.«
»Weshalb bist du dann hier?«
Lucas kickte einen losen Stein weg und ein fingergroßes Elementarwesen floh mit einem leisen Wutschrei. »Hoppla. Immer wieder vergesse ich, dass ich das in den Schattenreichen nicht tun darf.«
»Wechsele nicht das Thema. Warum?«
»Die Wogen haben sich geglättet. Ich vermisste dich.« Er rang sich ein Lächeln ab. Jon stellte seinen Korb ab und schlang seine dünnen Arme um ihn. Verdutzt erwiderte Lucas die Umarmung. Jon streichelte ihm erst das Haar und nahm dann Lucas’ Gesicht in
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